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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Straße benutzen und eine Entdeckung riskieren durfte oder lieber versuchen sollte, im Schutz des Waldes neben der Straße zu bleiben. Letzteres war ihm klüger vorgekommen, aber schon bald merkte er, dass Straße und Waldrand an manchen Stellen weit auseinanderklafften und es im dichten Gestrüpp des Alten Herzens oft erschreckend schwer war, die Straße wiederzufinden. Zugleich musste er sich in peinlicher Verlegenheit eingestehen, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie man ein Feuer anzündet, etwas, an das er nie einen Gedanken verschwendet hatte, wenn er Shems Schilderungen vom schnurrigen Hans Mundwald und seinen Räuberbrüdern zuhörte, die an ihrer Waldtafel saßen und sich an gebratenem Wildbret labten. Ohne Fackel, die ihm den Weg beleuchtete,konnte er wohl nur eins tun: nachts, wenn der Mond schien, auf der Straße weitergehen. Schlafen würde er dann tagsüber und die verbleibenden Stunden Sonnenlicht dazu nutzen, um sich weiter durch den Wald zu plagen.
    Keine Fackel, das bedeutete auch kein Kochfeuer, und das war in gewisser Weise das Schlimmste. Von Zeit zu Zeit fand er Gelege mit gefleckten Eiern, die Birkhennen in Verstecken aus ineinandergeflochtenem Gras verborgen hatten. Das war Nahrung für ihn, aber es fiel ihm schwer, die klebrigen, kalten Dotter zu schlürfen, ohne dabei an die warmen, duftenden Herrlichkeiten aus Judiths Küche zu denken und sich mit Bitterkeit an die Morgende zu erinnern, an denen er es so ungeheuer eilig gehabt hatte, zu Morgenes oder hinaus auf den Turnierplatz zu kommen, dass er große Klumpen Butter und mit Honig bestrichenes Brot unangerührt auf dem Teller hatte liegen lassen. Jetzt plötzlich war der Gedanke an einen Kanten mit Butter ein Traum vom Überfluss.
    Simon, der nicht jagen konnte und wenig oder gar keine Ahnung davon hatte, welche Wildpflanzen man ohne schädliche Folgen essen konnte, fristete sein Leben dadurch, dass er die Gärten der in der Gegend lebenden Kätner plünderte. Mit wachsamem Blick auf Hunde oder zornige Bewohner stürzte er aus dem schützenden Wald hervor, um die armselig kargen Gemüsebeete zu fleddern, scharrte Karotten oder Zwiebeln aus der Erde oder pflückte ein paar Äpfel von unteren Zweigen – aber selbst diese mageren Speisen fand er selten und nur in großen Abständen. Oft hatte er beim Gehen solche Hungerkrämpfe, dass er vor Wut aufbrüllte und dem verfilzten Gestrüpp wilde Fußtritte versetzte. Einmal trat er so fest zu und schrie so laut, dass er vornüber in das Unterholz fiel und lange Zeit nicht aufstehen konnte. Er lag da, hörte, wie das Echo seines Schreis verstummte, und dachte, nun würde er sterben.
    Nein, das Leben im Wald war nicht ein Zehntel so herrlich, wie er es sich an diesen längst vergangenen Nachmittagen auf dem Hochhorst ausgemalt hatte, als er im Stall gehockt, den Geruch von Heu und Zaumzeugleder eingeatmet und Shems Geschichten gelauscht hatte. Das mächtige Alte Herz war ein finsterer und geiziger Wirt, der Fremden keine Bequemlichkeit gönnen wollte. Simon versteckte sichin dornigem Gestrüpp, um die Sonnenstunden zu verschlafen, bahnte sich in der Dunkelheit unter dem im Netz der Äste gefangenen Mond seinen feuchten, bibbernden Weg oder huschte in seinem herumschlotternden, viel zu weiten Mantel verstohlen durch die Gartenbeete – und wusste immer, dass er mehr Hase als Räuber war.
    Obwohl er die zusammengerollten Aufzeichnungen des Doktors immer mitschleppte und sich an sie klammerte wie an einen Amtsstab oder den gesegneten Baum eines Priesters, las er, während die Tage vergingen, immer seltener darin. Am dünnen Ende des Tages, zwischen einer erbarmungswürdigen Mahlzeit – falls es überhaupt eine gab – und der furchterregenden, ihn immer enger umschließenden Finsternis, öffnete er wohl das Bündel und las ein Stück von einer Seite, aber jeden Tag schien der Sinn der Worte ihm schwerer fassbar. Eine Seite, auf der die Namen Johan, Eahlstan der Fischerkönig und Shurakai der Drache mehrfach vorkamen, erregte seine schwindende Aufmerksamkeit, aber nachdem er sie mühsam viermal durchgelesen hatte, erkannte er, dass die Wort für ihn kaum mehr Sinn ergaben als die Jahresringe auf einem Stück Baumholz. An seinem fünften Nachmittag im Wald saß er, die Blätter im Schoß, nur noch da und weinte leise vor sich hin. Geistesabwesend streichelte er das glatte Pergament, so wie er vor unzähligen Jahren die Küchenkatze gekrault hatte, in einem warmen, hellen Raum, der nach Zwiebeln

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