Der Drachenbeinthron
höhnischen Grimasse verzogen und der Sitha – denn als hätte es ihm jemand gesagt, begriff Simon auf einem Schlag, dass das herunterhängende Wesen genau das war – ihm in Westerlingsprache ein einziges, mühsam hervorgebrachtes Wort zuzischte.
»Feigling!«
Simon war so erbost, dass er sich um ein Haar auf ihn gestürzt hätte, trotz seines verhungerten Zustandes, seiner Angst und seiner schmerzenden Glieder … bis er begriff, dass es genau das war, was der Sitha mit seinem merkwürdig betonten Spott erreichen wollte.Simon verdrängte den Schmerz seiner getretenen Rippen, kreuzte die Hände über der Brust und starrte auf den gefangenen Sitha; er erlebte die grimmige Befriedigung, etwas zu sehen, das unzweifelhaft ein Sichwinden in ohnmächtiger Wut war.
Der Schöne – Simon erinnerte sich daran, wie Rachel von den Sithi immer abergläubisch als dem Schönen Volk geredet hatte – trug ein fremdartig aussehendes, weiches Gewand und Hosen aus einem glatten, braunen Material, das nur einen Ton dunkler war als seine Haut. Gürtel und Schmuck aus schimmerndem grünem Stein bildeten einen wundervollen Gegensatz zu seinem Haar, das Lavendelblau war wie Bergheidekraut und mit einem Knochenring eng am Kopf zusammengezogen, sodass es hinter dem einen Ohr als Pferdeschwanz herunterhing. Er schien kaum kleiner, aber erheblich schmaler als Simon zu sein; allerdings hatte der Junge sein Spiegelbild in letzter Zeit nur in trüben Waldtümpeln erblickt – vielleicht sah er inzwischen genauso mager und wild aus. Aber auch dann gab es Unterschiede, Dinge, die nicht genau zu bezeichnen waren: vogelähnliche Kopf- und Halsbewegungen, eine seltsame Flüssigkeit im Drehen der Gelenke, eine Aura von Macht und Beherrschung, die selbst jetzt zu spüren war, als ihr Besitzer wie ein Tier in dieser primitiven Falle hing. Dieser Sitha, dieses Gespenst seiner Träume, war anders als alles, was Simon bisher gesehen hatte. Er war erschreckend und erregend … er war anders.
»Ich will … ich will dir nicht wehtun«, sagte Simon schließlich und merkte, dass er wie mit einem Kind redete. »Ich habe die Falle nicht gestellt.« Der Sitha fuhr fort, ihn mit bösartigen Halbmondaugen anzustarren.
Was für furchtbare Schmerzen er verbergen muss, dachte Simon bewundernd. Seine Arme sind so weit hochgerissen … dass ich laut schreien würde, wenn ich dort hinge!
Über die linke Schulter des Gefangenen hing ein Köcher, bis auf zwei Pfeile leer. Mehrere andere Pfeile und ein Bogen aus schlankem, dunklem Holz lagen unter seinen baumelnden Füßen auf dem Grasboden verstreut.
»Versprichst du mir, dass du mir nichts tust, wenn ich versuche,dir zu helfen?«, fragte Simon, wobei er ganz langsam sprach. »Ich habe selber großen Hunger«, fügte er lahm hinzu. Der Sitha antwortete nicht, aber als Simon einen weiteren Schritt machte, zog er die Beine an, um nach ihm zu treten. Der Junge wich zurück.
»Zum Teufel mit dir!«, schrie Simon. »Ich will dir doch nur helfen!« Aber warum wollte er das eigentlich? Warum den Wolf aus der Fallgrube lassen? »Du musst …«, fing er an, aber der Rest seiner Worte blieb ihm in der Kehle stecken, als eine große Gestalt krachend durch die Bäume auf sie zukam.
»Ah! Da ist es ja, da ist es!«, sagte eine tiefe Stimme. Ein bärtiger, schmutziger Mann stapfte auf die kleine Lichtung. Seine Kleidung war dick und vielfach geflickt; in der Hand schwang er eine Axt.
»Nun zu dir, du …« Er unterbrach sich beim Anblick von Simon, der sich zurückweichend mit dem Rücken gegen einen Baumstamm drückte. »He«, knurrte er. »Wer bist du denn? Was tust du hier?«
Simon sah auf die schartige Axtklinge hinunter. »Ich … ich bin nur ein Wanderer … ich hörte ein Geräusch hier in den Bäumen …« Er machte eine Gebärde nach der seltsamen Szene. »Ich fand ihn hier, in dieser … Falle.«
»In meiner Falle!«, grinste der Waldbewohner. »In meiner verdammten Falle, jawohl, da steckt es drin.« Der Mann kehrte Simon den Rücken und musterte den herunterhängenden Sitha mit kühlem Blick. »Hab versprochen, ich würde ein Ende machen mit ihrem Herumschleichen und Bespitzeln und dem ganzen Milchzauber, jawohl, das hab ich.« Er streckte die Hand aus und gab der Schulter des Gefangenen einen Stoß, der ihn hilflos in langsamem Bogen hin- und herpendeln ließ. Der Sitha fauchte, aber es war ein ohnmächtiger laut. Der Holzfäller lachte.
»Beim Baum , Kämpfer sind sie, das muss man ihnen lassen. Richtige
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