Der Drachenbeinthron
von Rimmersmännern. Es ist eine Rätselhaftigkeit …«
»Wo ist Qantaqa?«, fragte Simon schwach. Er stellte fest, dass er sich merkwürdigerweise Sorgen um die Wölfin machte, die doch wahrscheinlich von ihnen Dreien in der geringsten Gefahr war.
»Rennen. Riechen. Sie ist sehr aufgeregt.« Simon stellte fest, dass Binabik seinen Stab auseinandergezogen und das Stück mit dem Messer in den Gürtel gesteckt hatte. »Ich frage mich«, meinte der Troll und starrte, während Simon sich endlich aufsetzte, in den emporsteigenden Rauch, »was die Ursache für all das ist. Räuber? Eine Art Schlacht aus Gründen der Religion – ich habe gehört, dass das bei euch Ädoniten nicht ungewöhnlich ist –, oder was sonst? Höchst sonderbar.«
»Binabik.« Simon räusperte sich und spuckte aus. Er hatte einen Geschmack im Mund als hätte er die Stiefel eines Schweinehirten abgeleckt. »Ich habe Angst.« Irgendwo in der Ferne bellte Qantaqa, ein überraschend hoher Laut.
»Angst.« Binabiks Lächeln war fadendünn. »Angst solltest du auch haben.« Obwohl sein Gesicht klar und sorglos zu sein schien, ließen die Augen des Trolls ein Gefühl der Betäubung oder der Hilflosigkeit erahnen. Das jagte Simon mehr Furcht ein als alles andere.Und da war noch etwas: ein Schatten der Entmutigung, als ob das Schreckliche nicht völlig unerwartet gekommen wäre.
»Ich denke …«, begann Binabik, als Qantaqas Jappen sich plötzlich zu einem knurrenden Crescendo steigerte. Der Troll sprang auf. »Sie hat etwas entdeckt«, sagte er und zog den verblüfften Jungen mit einem kräftigen Ruck am Handgelenk in die Höhe. »Oder etwas anderes ist dabei, sie zu entdecken …«
Binabik rannte den Geräuschen nach, und Simon, in dessen Schädel Impulse von Flucht und Furcht durcheinanderzirpten wie Fledermäuse, stolperte hinterher. Im Laufen griff der Troll mit dem Finger in sein Blasrohr und steckte etwas hinein. Simon wusste – eine keineswegs beruhigende Erkenntnis –, dass es ein Dorn mit schwarzer Spitze war.
Sie rannten quer durch das Klostergelände, fort von der Verwüstung und durch den Obstgarten, immer auf die wütenden Laute von Qantaqa zu. Ein Schneesturm von Apfelblüten fiel um sie herum zu Boden, und der Wind stocherte und schob sich am Waldrand entlang.
Weniger als zehn Laufschritte in den Wald hinein fanden sie die Wölfin, das Nackenfell gesträubt und ihr Knurren so tief, dass Simon es bis in den Magen fühlen konnte. Sie hatte einen Mönch gestellt und gegen den Stamm einer Pappel gedrängt. Der Mann hielt seinen Baum hoch, als wollte er den Blitz des Himmels auf das widerspenstige Untier herunterrufen. Aber trotz seiner heroischen Haltung zeigten die krankhafte Blässe des Gesichtes und der zitternde Arm, dass er mit dem Erscheinen des Blitzes nicht wirklich rechnete. Seine vor Furcht weit hervortretenden Augen waren auf Qantaqa geheftet; die beiden Neuankömmlinge hatte er überhaupt noch nicht bemerkt.
»… Aedonis Fiyellis extulanin mei …« Der breite Mund verkrampfte sich beim Sprechen. Die Schatten der Blätter malten Flecken auf seinen rosa Schädel.
»Qantaqa!«, rief Binabik. »Sosa!« Qantaqa grollte, aber ihre Ohren zuckten. »Sosa aia!« Der Troll schlug sich mit dem hohlen Stab auf den Schenkel, dass es knallte. Mit einem letzten zähnefletschenden Knurren ließ Qantaqa den Kopf sinken und trottete zurück zuBinabik. Der Mönch stierte Simon und den Troll an, als wären sie ebenso furchterregend wie der Wolf. Dann schwankte er ein wenig und stürzte rückwärts zu Boden. Er landete sitzend auf der Erde und zeigte den verwirrten Ausdruck eines Kindes, das sich verletzt hatte und noch nicht begriff, dass es weinen möchte.
»Usires der Barmherzige«, stammelte er endlich, als die beiden auf ihn zueilten. »Usires der Barmherzige, der Barmherzige …« Ein wilder Blick trat in seine überquellenden Augen. »Lasst mich in Ruhe, ihr heidnischen Ungeheuer!«, schrie er und versuchte mühsam aufzustehen. »Mörderbande, heidnische Bastarde!« Seine Fersen rutschten ihm weg, und er setzte sich wieder hin und murmelte: »Ein Troll, ein mörderischer Troll …« Langsam sah er wieder rosig aus, die Farbe kehrte zurück. Er holte tief und abgehackt Atem und machte dann ein Gesicht, als ob er nun wirklich losheulen wollte.
Binabik blieb stehen. Er packte Qantaqa am Hals und winkte Simon heran. »Hilf ihm.«
Simon näherte sich langsam und versuchte mit einiger Mühe, seine Gesichtszüge so zu ordnen, wie es
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