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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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diesem Ort eine Kirche und Abtei für den Hoderund-Orden.«
    »War es eine furchtbare Schlacht?«, wollte Simon wissen.
    »Die Rimmersgarder nannten den Ort ›Knochengarten‹. Diespätere Schlacht bei Agh Samrath war vielleicht blutiger, aber dort spielte auch Verrat mit. Hier auf dem Knoch galt es Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert, und das Blut strömte wie die Bäche der ersten Schneeschmelze.«
    Die Sonne, nun tief den Himmel heruntergerutscht, brannte ihnen mitten ins Gesicht. Die Nachmittagsbrise, die sich jetzt ernsthaft bemerkbar machte, bog das hohe Gras und warf die darüberschwebenden Insekten hoch in die Luft, in der sie tanzten wie winzige goldene Lichtblitze. Qantaqa kam querfeldein zurückgelaufen und übertönte die sägende, zischende Musik der sich aneinanderreibenden Halme. Der Junge und der Troll begannen eine lange Steigung hinaufzustapfen, umkreist von der Wölfin, die den dicken Kopf in der Luft schwenkte und erregt jappte. Simon beschattete seine Augen, konnte aber hinter der Erhebung nichts ausmachen als die Baumwipfel des Waldrandes. Er drehte sich um und wollte Binabik fragen, ob sie bald da wären, aber der Troll starrte im Gehen mit gerunzelten Brauen auf den Boden und konzentrierte sich auf irgendetwas, ohne Simon oder der wild umherspringenden Wölfin überhaupt Beachtung zu schenken.
    Nachdem sie eine Weile still nebeneinander hergegangen waren, nur das Rauschen ihrer Schritte im schweren Gras und ein gelegentliches aufgeregtes Bellen Qantaqas waren zu hören, ermutigte Simons leerer Magen ihn dazu, noch einmal zu fragen. Kaum aber hatte er den Mund geöffnet, als Binabik zu seiner Überraschung in ein hohes, klagendes Lied ausbrach:
    Aí-Ereb Irigú.
    Ka’ai shikisi aruya’a
    Shishei, shishei burusa’eya
    Pikuuru n’dai-tu.
    Während sie auf den im Abendlicht liegenden, windgewellten Berg hinaufstiegen, klangen Simon die Worte und die eigenartige Melodie in den Ohren wie ein Klagelied von Vögeln, wie ein verzweifelter Ruf aus den einsamen, erbarmungslosen Höhen über den Wolken.
    »Ein Sithilied.« Binabik warf Simon einen wunderlich scheuen Blick zu. »Ich singe es nicht gut. Es erzählt von diesem Ort, an dem die ersten Sithi von Menschenhand starben, an dem zum ersten Mal von Menschen, die auf Sithiboden kämpften, Blut vergossen wurde.« Während er zu Ende sprach, versetzte er Qantaqa, die ihn mit der breiten Schnauze ans Bein stieß, einen Klaps. »Hinik aia!« , befahl er. »Sie riecht jetzt Leute und gekochtes Essen«, murmelte er entschuldigend.
    »Was bedeutet das Lied?«, fragte Simon. »Die Worte, meine ich.« Immer noch überlief ihn die Fremdartigkeit kalt, erinnerte ihn aber zugleich daran, wie groß die Welt wirklich war und wie wenig er selbst auf dem betriebsamen Hochhorst davon mitbekommen hatte. Klein, klein, klein fühlte er sich, kleiner als der kleine Troll, der da neben ihm herkletterte.
    »Ich bezweifle, Simon, dass man die Worte der Sithi in den Sprachen der Sterblichen sangbar machen kann – sodass ihre Gedanken richtig weitergegeben werden. Noch schlimmer, es ist ja auch nicht die Sprache meines Geburtsortes, die wir miteinander sprechen, du und ich … aber ich kann es versuchen.«
    Sie gingen ein Stück weiter. Qantaqa war es endlich langweilig geworden oder sie hatte es sich anders überlegt; sie hatte jedenfalls keine Lust mehr, ihre wölfische Begeisterung mit ihren begriffsstutzigen Begleitern zu teilen und war hinter dem Kamm der Anhöhe verschwunden.
    »Das hier, glaube ich, kommt dem Sinn nahe«, meinte Binabik endlich und intonierte dann eher, als dass er sang:
    Am Tor des Westens
    zwischen dem Auge der Sonne
    und den Herzen der Ahnen
    fällt eine Träne …
    Lichtspur,
    Spur zur Erde fallenden Lichtes,
    trifft auf Eisen und wird zu Rauch …
    Binabik lachte verlegen. »Siehst du, in den Waldläuferhänden eines Trolls wird das Lied aus Luft zu Worten aus Stein.«
    »Nein«, entgegnete Simon, »zwar verstehe ich es nicht genau … aber ich empfinde etwas dabei.«
    »Dann ist es gut«, lächelte Binabik, »aber kein Wort von mir kann sich mit den Liedern der Sithi vergleichen, vor allem nicht mit diesem. Ich habe gehört, dass es eines der längsten ist – und eines der traurigsten. Es heißt auch, Erlkönig Iyu’unigato habe es selber geschrieben, in seinen letzten Stunden, bevor er getötet wurde … getötet von … von … Aah! Schau, wir sind oben!«
    Simon sah auf. Wahrhaftig, sie hatten das Ende der langen Steigung beinahe

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