Der Drachenbeinthron
warmen Steinen des erlöschenden Feuers in seinen Mantel. »Könntest du nicht ein Lied singen, Binabik«, bat er, »oder eine Geschichte erzählen?«
Der Troll sah zu ihm hinüber. »Besser keine Geschichte, Simon, denn wir müssen schlafen und früh aufstehen. Vielleicht ein kurzes Lied.«
»Das wäre schön.«
»Aber wenn ich es mir recht überlege«, wandte Binabik ein und zog sich die Kapuze über die Ohren, »würde ich gern einmal ein Lied von dir hören. Natürlich leise gesungen.«
»Von mir? Ein Lied?« Simon überlegte. Durch eine Lücke in den Bäumen glaubte er das schwache Glitzern eines Sterns zu erkennen. Eines Sterns … »Also gut«, erklärte er, »weil du mir auch ein Lied vorgesungen hast, von Sedda und der Decke aus Sternen … ich denke, ich kann dir etwas singen, das mir als Kind die Kammerfrauen beigebracht haben.« Er drehte und wendete sich ein wenig, um es sich bequemer zu machen. »Hoffentlich weiß ich die Worte noch alle. Es ist ein lustiges Lied.«
Tief im Altherzental
rief Hans Mundwald einmal
seine Männer vom Wald nah und fern.
Eine Krone es galt
und den Ruhm dort im Wald,
für den Mann, der ihm fing einen Stern.
Da stand Beornoth auf,
rief »Ich klettre hinauf
auf den höchsten der Baumwipfel hier!
Und ich hole den Stern
für die Krone von fern,
und dann reichst du die Goldene mir.«
Und er klettert in Hast
auf den obersten Ast
einer Birke und sprang weiter noch
wie im wildesten Traum,
von Baumstamm zu Baum,
doch der Stern stand am Himmel zu hoch.
Der sonnige Osgal lachte derweil
und versprach einen Pfeil
in den obersten Himmel hinein.
»Ich schieß ihn vom Zelt,
dass herunter er fällt,
und die Krone, die Krone ist mein … «
Zwanzig Pfeile, das Schaf!
Doch kein einziger traf
auf den Stern voller Hohn in der Nacht.
Zwanzig Pfeile hinab.
Osgal wünscht sich ins Grab
und versteckt hinter Hans sich, der lacht.
Jetzt versucht’s jeder Mann,
und ein Streiten hebt an,
und die Mühe wird schnell ihnen leid;
da tritt aus dem Chor
die Schön Hruse hervor,
und sie glättet bedächtig ihr Kleid.
»Es ist wahrlich nicht viel,
was Hans Mundwald da will«,
sagt sie lächelnd, ein Blitzen im Blick,
»doch wenn ihr sie nicht wollt,
die Krone aus Gold,
will ich lösen das Rätsel mit Glück.«
Ein Netz ließ sie jetzt
sich bringen zuletzt,
und sie warf es hinaus in den See.
Wasser wallte empört
und hätt beinah zerstört
das Abbild des Sterns in der Höh.
Doch es währte nicht lang,
da lag stille ihr Fang,
und sie lächelt: »Dein Spiel, Hans, ist aus.
Dein Stern zappelt im See,
ist gefangen, o weh,
und wenn du ihn willst, hol ihn raus!«
Und Hans lachte sich krumm,
und der Menge ringsum
rief er zu: »Diese Frau will ich frein!
Für den Stern ist ihr Lohn
meine goldene Kron,
und mein Leben,
das gibt’s obendrein.«
Ja, sie holte den Stern
für die Krone von fern,
und Hans Mundwald,
der nahm sie zum Weib …
Aus der Dunkelheit konnte er Binabiks lachen hören, leise und leicht. »Ein Lied zum Freuen, Simon. Sei bedankt.«
Bald verstummte das Zischen der Glut, und das einzige Geräusch war das Atmen des Windes in den endlosen Bäumen.
Noch bevor er die Augen aufschlug, vernahm Simon seltsame, eintönige Laute, die gleich neben seinem Lager an- und abschwollen. Er fühlte sich noch klebrig vom Schlaf, hob aber trotzdem den Kopf und erblickte Binabik, der mit überkreuzten Beinen vor dem Feuer saß. Die Sonne war gerade erst aufgegangen; blasse Nebelranken wanden sich rings um die Bäume.
Binabik hatte einen Kreis aus Federn sorgfältig um die Feuerstelle gelegt, Federn vieler verschiedener Vögel, als hätte er sie im ganzen Wald zusammengesammelt. Die Augen geschlossen, beugte er sich über das kleine Feuer und sang in seiner Heimatsprache vor sich hin, es waren die Laute, die Simon wach gemacht hatten.
»… Tutusiq-Ahyuq-Chuyuk-Qaqimak, Tutusiq-Ahyuq-Chuyuk-Qaqimak. « Immer und immer wieder. Das schmale Rauchband, das vom Lagerfeuer aufstieg, begann zu flattern wie in einem kräftigen Wind, aber die winzigen Federn blieben flach am Boden liegen und rührten sich nicht. Mit immer noch geschlossenen Augen begann Binabik mit der Handfläche einen flachen Kreis über dem Feuer zu beschreiben; das Rauchband bog sich, als habe es jemand verschoben, und fing an, stetig in eine Ecke der Grube zu wehen. Der Troll öffnete die Augen und sah eine kleine Weile dem Rauch nach, dann beendete er das Kreisen seiner kleinen Hand. Gleich
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