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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wedelte mit der Hand. »Der Fluss wartet darauf, dich zu hören, und der Wald auch.«
    »Hoffentlich erinnere ich mich noch«, meinte sie spöttisch und warf Simon einen kurzen Blick zu. Er erwiderte ihn hochmütig – ihre Bemerkung hatte seine gehobene Stimmung kaum berührt. »Es ist ein Lied der Flussschiffer«, fuhr sie fort, räusperte sich und hob dann, erst ein wenig unsicher, dann mutiger, mit lieblicher, kehliger Stimme zu singen an.
    Und manche segeln auf der See,
    ihr Mund ist mächtig voll
    von Geheimnissen und Schlachtgebrüll,
    Geschichten blutig toll.
    Doch fragt ihr dort am Gleniwent
    ’nen Mann, der’s wissen muss,
    so sagt er, Gott erschuf das Meer,
    gemeint hat er den Fluss.
    Oh, das Meer ist eine Frage,
    doch die Antwort ist der Fluss,
    wenn er tanzt und lacht und Sprünge macht
    wie ein Tänzerinnenfuß!
    Hol der Teufel, wer sich drücken will
    vor dem Boot so alt und bunt,
    und geht so einer über Bord –
    Prost auf ihn in Meremund!
    Schon mancher ging aufs Meer hinaus,
    der ward nie mehr gesehn,
    doch wir, die Kerls vom Wasserlauf,
    wer’n jede Nacht beim Schankwirt stehn.
    Und mancher sagt, wir trinken viel,
    gelärmt wird und gelacht,
    doch wenn der Fluss dein Mädchen ist,
    schläfst du ganz gut bei Nacht.
    Oh, das Meer ist eine Frage,
    doch die Antwort ist der Fluss,
    wenn er tanzt und lacht und Sprünge macht
    wie ein Tänzerinnenfuß!
    Hol der Teufel, wer sich drücken will
    vor dem Boot so alt und bunt,
    und geht so einer über Bord –
    Prost auf ihn in Meremund!
    In Meremund! In Meremund!
    Dort trinken wir ihm zu,
    doch wenn er nicht vorübertreibt,
    gibt’s auch kein’ letzte Ruh!
    Als Marya zum dritten Mal zum Kehrreim kam, kannten Simon und Binabik die Worte und konnten einfallen. Qantaqa legte die Ohren an, als sie johlend und singend den Aelfwent hinunterglitten.
    Oh, das Meer ist eine Frage, doch die Antwort ist der Fluss, sang Simon aus voller Kehle, als plötzlich die Nase des Bootes in ein Wasserloch kippte und wieder in die Höhe schoss: Sie fuhren von neuem durch ein paar heftige Stromschnellen. Als sie die brodelnden Wasser hinter sich gebracht und wieder freie Fahrt hatten, waren sie alle zu atemlos zum Weitersingen. Aber Simon grinste immer noch, und als die grauen Wolken über dem Wald ihre Schleusen öffneten und sie mit noch mehr Regen überschütteten, hob er das Kinn und fing die Tropfen mit der Zunge auf.
    »Es regnet«, erläuterte Binabik und hob unter dem an die Stirn geklatschten Haar die Brauen. »Ich denke, wir werden nass.«
    Den kurzen Augenblick der Stille durchbohrte das hohe, prustende Gelächter des Trolls.Als das durch den Baldachin aus Ästen und Blättern herabsickernde Licht schwächer wurde, steuerten sie das Boot ans Ufer und schlugen ihr Lager auf. Binabik schichtete das Feuerholz auf und setzte die Scheite mit Hilfe seines gelben Pulvers in Brand. Dann förderte er aus einem der Rucksäcke, die Geloë ihnen mitgegeben hatte, ein Paket mit frischem Gemüse und Obst zutage. Die Wölfin, sich selbst überlassen, schlich ins hohe Gebüsch hinein und kam nach einiger Zeit mit triefnassem Fell zurück; ein paar blutige Streifen zierten ihre Schnauze. Simon blickte zu Marya hinüber, die nachdenklich an einem Pfirsichkern lutschte, um zu sehen, wie sie auf dieses Zeichen der brutalen Seite von Qantaqas Wesen reagieren würde, aber falls das Mädchen es überhaupt bemerkt hatte, zeigte sie kein Zeichen des Unbehagens. Sie muss in der Küche der Prinzessin gearbeitet haben, dachte er. Trotzdem, ich wette, wenn ich ihr eine von Morgenes ausgestopften Echsen in den Mantel steckte, dann würde sie springen.
    Der Gedanke daran, dass sie in einer der Burgküchen beschäftigt gewesen sein könnte, veranlasste ihn dazu, nachzugrübeln, was sie eigentlich im Dienst der Prinzessin für Aufgaben gehabt haben mochte – und, wenn er schon dabei war, wieso hatte sie gerade ihm nachspioniert? Aber als er sie über die Prinzessin ausfragen wollte, schüttelte sie nur den Kopf und meinte, über ihre Herrin und ihren Dienst könne sie erst dann etwas erzählen, wenn sie ihre Botschaft in Naglimund abgeliefert hätte.
    »Ich hoffe, du wirst mir die Frage vergeben«, bemerkte Binabik, der gerade die wenigen Essgeräte einpackte und seinen Wanderstab auseinandernahm, um seine Flöte herauszuholen, »aber welchen Plan hast du, wenn Josua nicht in Naglimund ist und deine Botschaft nicht entgegennehmen kann?«
    Marya machte ein verwirrtes Gesicht, schwieg aber trotzdem

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