Der Drachenbeinthron
Schwindelanfälle, und sein Kopf fühlte sich heiß und viel zu groß an, wie eine auf den Kohlen aufgehende Kartoffel. Sowohl Binabik als auch Marya kontrollierten sorgsam den Verlauf seines Fiebers. Als er aus dem Dämmerschlaf erwachte, in den er, als seine beiden Gefährten zu Mittag aßen, gesunken war, und sie über sich gebeugt fand, Maryas kühle Handfläche auf seiner Stirn, dachte er ganz verwirrt: Was für eine seltsame Mutter und was für einen wunderlichen Vater ich doch habe!
Kaum begann die Dämmerung durch die Bäume zu sinken, als sie zur Nacht hielten. Simon, in den Mantel eingerollt wie ein Wickelkind, saß dicht am Feuer und streckte die Arme nur kurz heraus, um etwas von der Suppe zu trinken, die der Troll gekocht hatte, eine Brühe aus getrocknetem Rindfleisch, Rüben und Zwiebeln.
»Wir müssen morgen mit den ersten Schritten der Sonne aufstehen«, erklärte Binabik und hielt der Wölfin, die mit wohlwollender Gleichgültigkeit daran schnüffelte, das Stielende einer Rübe hin. »Nahe sind wir Da’ai Chikiza, aber es wäre sinnlos, nachts dorthin zu kommen, wenn man nichts mehr richtig erkennen kann. Auf jeden Fall werden wir von dort bis zu der Steige einen langen Weg hinaufklettern müssen und sollten das lieber tun, solange der Tag warm ist.«
Simon sah mit trübem Blick zu, wie der Troll Morgenes’ Manuskript aus einem der Rucksäcke nahm und auswickelte. Binabik hockte sich dicht ans flackernde Lagerfeuer und hielt die Seiten schräg, um darin lesen zu können; er sah aus wie ein kleiner Mönch im Gebet über seinem Buch Ädon. Über ihnen raschelte der Wind in den Bäumen und blies Wassertropfen hinab, die an den Blättern gehangen hatten, Überbleibsel des Nachmittagsschauers. In das eintönige Rauschen des Wassers unter ihnen mischte sich das hartnäckige Quaken der kleinen Flussfrösche.
Simon brauchte eine Weile, bis er begriff, dass der sanfte Druck an seiner Schulter keine neue Botschaft seines kranken, unzufriedenen Körpers war. Mühsam reckte er das Kinn über den Kragen des dicken Wollmantels und machte eine Hand frei, um Qantaqa zu verscheuchen – nur um Maryas dunklen Kopf auf seinem Oberarm ruhen zu sehen. Ihr Mund stand leicht offen, und sie atmete im Rhythmus ihres Schlafes ein und aus.
Binabik sah hinüber. »Es war ein harter Tag heute«, lächelte er. »Viel paddeln. Wenn es dir keine Schmerzen bereitet, lass sie ein wenig liegen.« Er wandte sich wieder dem Manuskript zu.
Marya bewegte sich neben ihm und murmelte etwas vor sich hin. Simon zog den Mantel, den Geloë ihr gegeben hatte, höher hinauf; als er ihre Wange berührte, stammelte sie irgendetwas, hob die Hand und strich unbeholfen über Simons Brust, um dann ein Stückchen näher zu rutschen.
Das Geräusch ihres gleichmäßigen Atems so nahe an seinem Ohr vereinte sich mit den Geräuschen von Fluss und Nachtwald. Simon fröstelte und er fühlte seine Augen schwer werden, so schwer … aber sein Herz schlug schnell, und es war der Ton seines ruhelosen Blutes, der ihn auf einem Pfad in warme Dunkelheit hinunterführte.
Im grauen, unbestimmten Licht einer regennassen Morgendämmerung, die Augen noch voller Schlaf und die Körper merkwürdig träge vom frühen Aufstehen, sahen sie die erste Brücke.
Simon saß wieder am Heck. Obwohl es verwirrend gewesen war, in fast völliger Dunkelheit ins Boot zu steigen und auf den Fluss hinauszugleiten, ging es ihm besser als am Vortag; er fühlte sich immer noch benommen, aber sehr viel kräftiger. Als sie eine Biegung des Flusses, der fröhlich dahinsprang und sich nicht um die Tageszeit scherte, umrundet hatten, gewahrte Simon plötzlich ein seltsames Gebilde, das vor ihnen im Bogen das Wasser überspannte. Er wischte sich einige Tropfen vom Gesicht, die weniger herunterzuregnen als vielmehr in der nebligen Luft zu hängen schienen, und kniff die Augen zusammen.
»Binabik«, fragte er nach vorn gebeugt, »ist das eine …«
»Eine Brücke, ja, so ist es«, antwortete der Troll vergnügt. »Das Tor der Kraniche, glaube ich.«
Der Fluss trug sie immer näher heran, und sie rührten mit ihren Paddeln im Wasser, um die Fahrt zu verlangsamen. Aus dem alles überwuchernden Unterholz des Ufers wuchs die Brücke hervor und spannte sich in schlankem Bogen hinüber zu den Bäumen auf der anderen Seite. Aus blassem, durchscheinendem grünem Stein gehauen, wirkte sie so zart wie ein Steg aus erstarrtem Meerschaum.
Einst mit kunstvollem Schnitzwerk bedeckt, war jetzt ein
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