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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Mädchen stand dort, bunt und klein wie ein Schmuckstück; ihr grünes Kleid und goldenes Haar fingen einen Sonnenstrahl auf, als wäre er wie ein Pfeil vom Himmel allein auf sie gezielt gewesen. Simon konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber irgendwie wusste er genau, dass sie schön war – schön und großmütig wie das Bildnis der Unbefleckten Elysia, das in der Kapelle stand.
    Der grüngoldene Blitz entflammte ihn wie ein Funke, der in trockenes Holz fällt. Er spürte, wie aller Ärger und Groll, die er mit sich herumgetragen hatte, verschwanden, in einer hastigen Sekunde zu Asche verbrannt. Er fühlte sich leicht und voller Auftrieb wie Schwanenflaum, die Beute jedes kleinen Windes, der ihn fortblasen wollte, ihn vielleicht emportrug zu jenem goldenen Glanz.
    Dann löste er den Blick von dem wunderbaren, gesichtslosen Mädchen und sah hinunter auf die eigenen, zerrissenen Kleider. Rachel wartete, und sein Essen war kalt geworden. Eine vertraute, unbestimmte Last kletterte zurück auf ihren angestammten Sitz, beugte seinen Nacken und ließ die Schultern herabfallen, als er zu den Dienstbotenquartieren hinüberstapfte.

5
Das Turmfenster

    er Novander verstieb in Wind und zartem Schnee; geduldig wartete der Decander, das Jahresende am Mantelsaum. Nachdem König Johan Presbyter seine beiden Söhne zum Hochhorst zurückberufen hatte, erkrankte er aufs Neue und zog sich wieder in sein abgedunkeltes Zimmer zurück, umschwärmt von Wundärzten, gelehrten Doktoren und scheltenden, besorgten Leibdienern. Von Sankt Sutrin, der großen Kirche von Erchester, rauschte Bischof Domitis herbei und etablierte sich am Krankenbett, wo er den König zu jeder Tages- und Nachtzeit aus dem Schlaf rüttelte, um Webmuster und Gewicht der königlichen Seele zu inspizieren. Der alte, immer schwächer werdende Mann ertrug Schmerz und Priester mit stoischer Tapferkeit.
    In der winzigen Kammer neben dem Gemach des Königs, die seit vierzig Jahren von Strupp bewohnt wurde, lag, eingeölt, in seiner in feines Leinen gewickelten Scheide, das Schwert Hellnagel ganz unten in der Eichentruhe des Narren.
    Weit über das breite Antlitz von Osten Ard flog das Wort: Johan der Priester liegt im Sterben. Sofort schickten Hernystir im Westen und das nördliche Rimmersgard Gesandtschaften ans Bett des dahingestreckten Erkynlandes. Der alte Herzog Isgrimnur, Johans Tischgenosse zur Linken an der Großen Tafel, brachte fünfzig Rimmersmänner aus Elvritshalla und Naarved, die ganze Gesellschaft für die Durchquerung der winterlichen Frostmark von Kopf bis Fuß in Pelze und Leder gehüllt. Nur zwanzig Hernystiri begleiteten König Lluths Sohn Gwythinn, aber das helle Gold und Silber, das sie trugen, blitzte wacker und überstrahlte das ärmliche Tuch ihrer Kleidung.
    Die Burg begann, sich mit der Musik lange Zeit nicht mehr vernommener Sprachen zu beleben, Rimmerspakk und Perdruinesisch und Harcha-Zunge. Die rollende Inselmundart von Naraxi schwebte durch den Torhof, und die Ställe hallten wider von dem auf- und absteigenden Singsang der Thrithingmänner – die Grasländer fühlten sich immer am wohlsten bei den Pferden. Über diesen und allen anderen Sprachen hing die dröhnende Redeweise Nabbans, die geschäftige Zunge der Mutter Kirche und ihrer ädonitischen Priester, die sich wie immer um das Kommen und Gehen der Menschen und ihrer Seelen kümmerten.
    Auf dem hohen Hochhorst und unten in Erchester trafen sich diese kleinen Heere von Fremden und flossen wieder auseinander, meist ohne Zwischenfälle. Obwohl viele der Völker einst Erbfeinde gewesen waren, hatten fast achtzig Jahre unter dem Schutz des Hochkönigs viele Wunden heilen lassen. Es wurden mehr Viertelpinten Bier als harte Worte getauscht.
    Eine ärgerliche Ausnahme gab es von dieser Regel der Eintracht, eine, die man nur schwer übersehen oder missverstehen konnte. Wo immer sie einander begegneten, unter den breiten Toren des Hochhorstes oder in den schmalen Gassen von Erchester, gerieten Prinz Elias’ grün uniformierte Soldaten und Prinz Josuas Gefolgsmänner in ihren grauen Hemden aneinander, stritten sich und spiegelten öffentlich den privaten Zwist der Königssöhne wider. Johans Erkyngarde musste mehrfach eingreifen, um unerfreuliche Auseinandersetzungen zu schlichten. Schließlich erhielt ein Anhänger Josuas einen Dolchstich von einem jungen Adligen aus Meremund, der ein enger Freund des Thronerben war. Zum Glück trug Josuas Mann keine ernstliche Verletzung davon – der Stich

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