Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
geschah im Rausch und war schlecht gezielt –, und die Parteigänger mussten sich den tadelnden Worten der älteren Höflinge fügen. Die Truppen der beiden Prinzen kehrten zu kalten Blicken und höhnischen Bemerkungen zurück; offenes Blutvergießen wurde vermieden.
    Es waren seltsame Tage in Erkynland und ganz Osten Ard, Tage, von Trauer und Aufregung gleichermaßen überfrachtet. Der König war noch nicht tot, aber es schien, als werde er es sehr bald sein. Die ganze Welt veränderte sich – wie konnte irgendetwas bleiben wiezuvor, wenn Johan der Priester einmal nicht mehr auf dem Drachenbeinthron saß?

    Udunstag: Traum … Drorstag: besser … Fraytag: am besten Satrinstag: Markttag … Sonntag: im Nestchen!
    Simon nahm die knarrenden Stufen immer zwei auf einmal und sang, so laut er konnte, den alten Reim. Fast hätte er Sophrona, die Wäschebeschließerin, umgerannt, die ein Geschwader mit Decken beladener Mägde durch das Tor zum Kieferngarten führte. Mit einem kleinen Aufkreischen warf sie sich gegen den Torpfosten, als Simon vorübersauste, und drohte dann mit dürrer Faust seinem davoneilenden Rücken.
    »Ich sag’s Rachel!«, rief sie. Ihre Schützlinge unterdrückten das Lachen.
    Wer scherte sich um Sophrona? Heute war Satrinstag – Markttag –, und die Köchin Judith hatte Simon zwei Pfenninge gegeben, um ein paar Sachen für sie einzukaufen, und dazu ein Fithingstück – wunderbarer Satrinstag! –, das er für sich selbst verwenden durfte. Die Münzen klingelten lieblich und anregend in seinem ledernen Geldbeutel, während er sich wie in einer Spirale durch die meilenweiten, langen, kreisförmigen Höfe der Burg hinaus ins Freie bewegte, durch das Tor des Inneren Zwingers in den Mittleren Zwinger, der im Augenblick fast leer war, weil seine sonstigen Bewohner, Soldaten und Handwerker, zum größten Teil entweder Dienst hatten oder den Markt besuchten.
    Der Burganger im Äußeren Zwinger wimmelte von Vieh, das sich in der Kälte unglücklich aneinanderdrängte und von kaum fröhlicher dreinschauenden Hirten bewacht wurde. Simon trabte an den Reihen niedriger Häuser, Lagerräume und Ställe vorbei, von denen manche so alt und derart von winternacktem Efeu überwuchert waren, dass sie nur warzige Auswüchse der inneren Mauer des Hochhorstes zu sein schienen.
    Durch die Wolken glitzerte die Sonne auf den Steinschnitzereien, die das mächtige Chalzedon-Antlitz des Nerulagh-Tores dicht bedeckten. Simon, der jetzt etwas langsamer vorantrottete und denPfützen auswich, starrte mit offenem Mund auf die verschlungenen Darstellungen von König Johans Sieg über Ardrivis – jener Schlacht, die Nabban endlich unter die Hand des Königs gebracht hatte. Plötzlich drangen der Lärm schneller Hufe und das schrille Quietschen von Wagenrädern an sein Ohr. Als er entsetzt aufblickte, fand er sich den weißen, rollenden Augen eines durch das Nerulagh-Tor heranstürmenden Pferdes gegenüber, unter dessen Hufen der Schlamm aufspritzte. Simon warf sich zur Seite und spürte einen kalten Windstoß im Gesicht, als das Pferd vorbeidonnerte, wobei der Wagen, den es hinter sich herzog, wild schwankte. Er erhaschte einen kurzen Blick auf den Wagenlenker, der in einen dunklen, scharlachgefütterten Kapuzenmantel gekleidet war. Die Augen des Mannes durchbohrten ihn, während der Wagen davonsauste; sie waren schwarz und glänzend wie die grausamen Knopfaugen eines Hais. So flüchtig der Kontakt auch war, Simon kam es vor, als versenge ihn der Blick des Wagenlenkers. Er taumelte zurück, klammerte sich an die steinerne Toreinfassung und sah zu, wie der Wagen in der Fahrspur um den Äußeren Zwinger verschwand. Hinter ihm gackerten und flatterten Hühner, soweit sie nicht zerquetscht und blutig in der ausgefahrenen Radspur lagen. Lehmverschmutzte Federn schwebten zur Erde.
    »He, Junge, du bist doch nicht verletzt?« Einer der Torwächter zog Simons zitternde Hand von den Steinverzierungen herunter und stellte ihn wieder auf die Beine. »Dann sieh zu, dass du weiterkommst.«
    Schnee tanzte in der Luft und haftete schmelzend an seinen Wangen, als Simon sich auf den langen Weg bergab nach Erchester machte. Das Klingeln der Münzen in seiner Tasche folgte jetzt dem langsameren Rhythmus seiner wackligen Knie.
    »Dieser Priester ist verrückt wie der Mond«, hörte Simon den Wächter zu seinem Kameraden am Tor sagen. »Wäre er nicht einer von Prinz Elias’ Männern …«
    Drei kleine Kinder, die mit ihrer sich abrackernden

Weitere Kostenlose Bücher