Der Drachenbeinthron
der Halle, die Augen feucht von Tränen.
32
Nachrichten aus dem Norden
ja, Junge«, sagte Strupp und schob einen neuen Humpen über die Tischplatte, »du hast ja so recht – sie machen nur Ärger. Und daran wird sich auch nie etwas ändern.« Simon schielte nach dem alten Narren, der ihm plötzlich wie der Quell aller Weisheit vorkam.
»Sie schreiben einem Briefe«, erklärte er dann und nahm einen guten Schluck, »lügenhafte Briefe.« Er stellte den Becher wieder auf das Holz und sah zu, wie der Wein nach beiden Seiten schwappte und über den Rand zu fließen drohte.
Strupp lehnte sich nach hinten an die Wand seiner schachtelartigen Kammer. Er war im leinenen Unterhemd und hatte sich seit ein paar Tagen nicht rasiert. »Jawohl, solche Briefe schreiben sie«, bestätigte er und nickte ernsthaft mit dem weißstoppligen Kinn. »Manchmal lügen sie auch den anderen Damen etwas über dich vor.«
Simon dachte stirnrunzelnd darüber nach. Wahrscheinlich hatte sie genau das getan und den anderen Edlen und Hochwohlgeborenen von dem dummen Küchenjungen erzählt, der mit ihr in einem Boot den Aelfwent hinuntergefahren war. Vermutlich kannte schon ganz Naglimund die lustige Geschichte. Er nahm noch einen Zug und fühlte, wie ihm der saure Geschmack hochkam und seinen Mund mit Galle füllte. Er setzte den Becher hin.
Strupp versuchte mühsam aufzustehen. »Sieh dir das hier an«, sagte der Alte, ging zu einer Holztruhe und fing an, darin herumzuwühlen. »Verdammt, ich weiß genau, dass er hier irgendwo steckt.«
»Ich hätte es merken müssen!«, schalt Simon sich selber. »Einen kleinen Brief hat sie mir geschrieben. Wie hätte eine Dienstmagddas tun können … und noch dazu fehlerfreier geschrieben, als ich es geschafft hätte?«
»Hier ist diese gottverdammte Lautensaite!« Strupp wühlte weiter.
»Aber sie hat mir eine Botschaft geschrieben, Strupp – hat gesagt ›Gott segne dich‹! Hat mich ›Freund‹ genannt!«
»Was? Na, das ist doch großartig, Junge. So ein Mädchen brauchst du – keine eingebildete Pute, die nur auf dich herabsieht wie diese andere. Ah, hier!«
»Wie?« Simon hatte den Faden verloren. Er war sich sicher, dass er überhaupt nur von einem Mädchen geredet hatte – dieser Erzverräterin, der ständig ihre Persönlichkeit ändernden Marya … Miriamel … ach, eigentlich kam es gar nicht darauf an.
Aber sie ist an meiner Schulter eingeschlafen. Betrunken erinnerte er sich vage an warmen Atem an seiner Wange und empfand ein schmerzhaftes Gefühl des Verlustes.
»Schau dir das an, Junge.« Strupp stand vor ihm, schwankte und hielt ihm etwas Weißes hin. Simon starrte es verwirrt an.
»Was ist das?«
»Ein Schal. Für kaltes Wetter. Und siehst du das da?« Der Alte deutete mit dem krummen Zeigefinger auf eine Reihe von Schriftzeichen, die mit dunkelblauem Faden in das Weiß hineingewoben waren. Die Form der Runen erinnerte Simon an etwas, das selbst durch den Weinnebel hindurch eisige Kälte in ihm aufsteigen ließ.
»Was ist das?«, fragte er nochmals, und seine Stimme war ein wenig klarer als vorher.
»Rimmersgard-Runen«, antwortete der alte Narr und lächelte versonnen. »Es heißt ›Cruinh‹ – das ist mein richtiger Name. Ein Mädchen hat sie gewebt, sie und den Schal. Für mich. Als ich mit meinem lieben König Johan in Elvritshalla war.« Überraschend brach er in Tränen aus, tastete sich zum Tisch zurück und ließ sich auf den harten Stuhl fallen. Aber gleich darauf verstummte das Schluchzen, und in seinen rotgeränderten Augen stand das Wasser wie Pfützen nach einem Sommerregen. Simon schwieg.
»Die hätte ich heiraten sollen«, fuhr Strupp nach einer Weile fort. »Aber sie wollte ihr Land nicht verlassen – wollte nicht mit mir zumHochhorst zurück. Angst vor der Fremde, das hatte sie, Angst, von ihrer Familie wegzugehen. Schon seit Jahren tot, das arme Mädchen.« Er schniefte laut. »Aber wie hätte ich meinen guten Johan je im Stich lassen können?«
»Was meint Ihr?«, fragte Simon. Er konnte sich nicht daran erinnern, wo er in letzter Zeit solche Rimmersgard-Runen zu Gesicht bekommen hatte, oder zumindest wollte er sich nicht der Mühe unterziehen, nach einer derartigen Erinnerung zu suchen. Es war bequemer, hier im Kerzenschein zu hocken und den Alten schwatzen zu lassen. »Wann warst – wann wart Ihr in Rimmersgard?«, ermunterte er ihn.
»Ach, Junge, vor vielen, vielen Jahren.« Strupp wischte sich ohne Verlegenheit die Augen und schnäuzte sich in
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