Der Drachenbeinthron
habe Gott alles nach seinem Plan geschehen lassen; aber wir müssen wählen dürfen, wie, Junge? Ohne eine Wahl gibt es nichts Gutes. Ich weiß nicht – ich glaube nicht, dass ich die Vergangenheit so weit aufrollen möchte. Besser, es bleibt, wie es ist, ob die Entscheidung damals nun richtig oder falsch war.«
»Aber hinterher kann man sich doch immer viel leichter entscheiden«, wandte Simon ein und richtete sich langsam auf. Strupp blickte starr in die flackernde Kerzenflamme. »Ich meine, in dem Augenblick, in dem man den Entschluss fassen muss, weiß man nie genug. Erst später begreift man alles.«
Auf einmal fühlte Simon sich mehr erschöpft als betrunken, von einer Welle von Müdigkeit erfasst und fortgespült. Er bedankte sich für den Wein und sagte dem alten Narren gute Nacht. Dann ging er hinaus in den verlassenen Hof und den schräg herabfallenden Regen.
Simon stand da und klopfte sich den Schlamm von den Stiefeln. Dabei sah er Haestan nach, der über den feuchten, windgepeitschten Berghang davonstapfte. Der Rauch der Kochfeuer, der aus der Stadtunter ihnen aufstieg, vermischte sich mit dem stahlgrauen Himmel. Simon wickelte sein Schwert aus der Stoffpolsterung und betrachtete die weißen Sonnenstrahlen, die am nordwestlichen Horizont wie Klingen aus Licht die Wolken durchbohrten. Deuteten sie auf die Existenz eines helleren, besseren Ortes hinter den Wolken hin, oder waren sie nur ein unpersönliches Spiel des Lichtes, das sich um die Welt und ihre Probleme nicht scherte? Simon starrte in die Höhe und rollte mit der Hand die Polsterung zusammen, aber seine Stimmung änderte sich nicht. Er fühlte sich einsam. Wie er dort inmitten des wogenden Grases stand, hätte er ebenso gut ein Stein oder ein Baumstumpf sein können.
Morgens hatte Binabik bei ihm vorbeigeschaut, und das Geräusch seines Klopfens an der Tür war schließlich in Simons weinschweren Schlaf gedrungen. Er hatte das Klopfen und die leisen Worte des kleinen Mannes nicht beachtet, und endlich war beides verstummt, und er konnte sich wieder zusammenrollen und noch ein wenig weiterdösen. Er hatte kein Verlangen danach gehabt, den Troll jetzt schon wiederzusehen, und war dankbar gewesen für die Tür zwischen ihnen.
Haestan hatte über die grünliche Gesichtsfarbe, mit der Simon in der Wachkaserne auftauchte, herzlos gelacht und sich, nachdem er versprochen hatte, ihn bald einmal an einen Ort mitzunehmen, wo wirklich getrunken würde, dafür gesorgt, dass Simon seine üble Laune buchstäblich ausschwitzte. Obwohl er zuerst das Gefühl hatte, gleichzeitig auch sein Leben aushauchen zu müssen, konnte er nach ungefähr einer Stunde spüren, wie ihm das Blut wieder durch die Adern floss. Haestan arbeitete sogar noch härter mit ihm als am Vortag, mit stoffumhülltem Schwert und gepolstertem Schild, aber Simon war dankbar für die Ablenkung; es war ein Genuss, im gnadenlosen, hämmernden Rhythmus von Schwert auf Schild unterzutauchen, von Hieb und Ausweichen und Gegenhieb.
Jetzt schnitt der Wind durch sein schweißgetränktes Hemd, während er seine Ausrüstung vom Boden aufsammelte. Er machte sich auf den Weg bergan zum Haupttor.
Während Simon so über den mit Regenpfützen gesprenkelten Innenhof schlich und der Wachtruppe auswich, die in dickenWollmänteln auf dem Weg zur Ablösung war, kam es ihm vor, als sei alle Farbe aus Naglimund ausgelaufen. Die kränklichen Bäume, die grauen Umhänge von Josuas Wachen, die düstere Kleidung der Priester, alles, worauf sein Blick fiel, hätte aus Stein gehauen sein können. Selbst die hin und her eilenden Pagen waren nur Standbilder, denen man eine Art vorübergehendes Leben verliehen hatte, die aber bald wieder langsam werden und schließlich unbeweglich dastehen würden.
Simon spielte mit seinen trüben Gefühlen und genoss sie sogar. Plötzlich aber erregte ein Aufglänzen von Farben seine Aufmerksamkeit, das auf der anderen Seite eines großen, offenen Hofes sichtbar wurde, von Farben, deren Leuchtkraft so auffällig war wie ein Trompetenstoß an einem stillen Abend.
Die extravaganten Seidenstoffe gehörten drei jungen Frauen, die aus einem Torbogen herausgesprungen waren, um lachend und ungestüm über den offenen Hof zu rennen. Die eine trug Rot und Gold, die andere ein Gelb, das wie ein Feld von gemähtem Heu leuchtete; die dritte hatte ein langes, schimmerndes Kleid in Taubengrau und Blau an. Im Bruchteil eines Augenblicks hatte Simon sie erkannt: Die dritte war Miriamel.
Noch bevor
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