Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
ein großes Taschentuch. »Es war nach der Schlacht von Naarved. Im Jahr danach – da habe ich das Mädchen kennengelernt, das diesen Schal gewebt hat.«
    »Was war die Schlacht von Naarved?« Simon wollte sich schon neuen Wein eingießen, überlegte es sich dann aber. Was mochte wohl gerade in der großen Halle vorgehen?
    »Naarved?« Strupp glotzte. »Du weißt nichts von Naarved? Wo Johan den alten König Jormgrun schlug und Hochkönig des Nordens wurde?«
    »Ich glaube, ein bisschen weiß ich darüber«, versetzte Simon unbehaglich. Wie viel es doch auf der Welt zu wissen gab ! »Es war eine berühmte Schlacht.«
    »Natürlich!« Strupps Augen glänzten. »Johan belagerte Naarved den ganzen Winter. Jormgrun und seine Männer waren gar nicht auf den Gedanken gekommen, Erkynländer könnten die grausamen Schneefälle Rimmersgards überleben. Sie waren fest davon überzeugt, Johan werde die Belagerung abbrechen und sich nach Süden zurückziehen müssen. Aber Johan schaffte es! Nicht allein, dass Naarved eingenommen wurde, beim letzten Sturm stieg Johan selbst über die Mauer der inneren Burg und öffnete das Fallgatter – zehn Männer wehrte er ab, bis er endlich das Haltetau kappen konnte. Dann zerbrach er Jormgruns Schild und streckte den König vor seinem eigenen heidnischen Altar nieder.«
    »Tatsächlich? Und Ihr wart dabei?« Simon hatte die Geschichte wirklich schon in ungefähr der gleichen Version gehört, aber es war aufregend, sie von einem Augenzeugen erzählt zu bekommen.
    »So gut wie. Ich war in Johans Lager; er nahm mich überallhin mit, mein guter alter König.«
    »Und wie wurde Isgrimnur Herzog?«
    »Ah.« Strupps Hand, die den weißen Schal hin und her gedreht hatte, suchte den Weinkrug und fand ihn. »Es war sein Vater Isbeorn, der als Erster Herzog wurde, verstehst du. Er war der erste der heidnischen Edlen von Rimmersgard, der Erleuchtung fand – die Gnade Usires Ädons annahm. Johan machte sein Haus zum ersten Rimmersgards. Darum ist heute Isbeorns Sohn Isgrimnur Herzog, und man könnte schwerlich einen frommeren Ädoniter finden.«
    »Und was wurde aus den Söhnen von König Jorg-oder-wie-hießer-doch-gleich? Wollte keiner von ihnen Ädonit werden?«
    »Ach …« Strupp machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich denke mir, dass sie alle in den Kämpfen fielen.«
    »Hmmm.« Simon lehnte sich zurück und verdrängte diese verwirrenden Fragen um Religion und Heidentum aus seinem Kopf, um sich stattdessen lieber die große Schlacht auszumalen. »Hatte König Johan damals schon Hellnagel?«, fragte er.
    »Ja … ja, er hatte es«, erwiderte Strupp. »Bei Gottes Baum , ein schöner Mann war er, wenn man ihn so in der Schlacht sah. Hellnagel glänzte so hell und schwirrte so schnell – nur ein stählerner Blitz, sonst nichts –, dass Johan manchmal aussah, als umgebe ihn ein wundervoller, heiliger Silberschein.« Der alte Narr seufzte.
    »Und wer war nun das Mädchen?«, wollte Simon wissen.
    Strupp riss die Augen auf. »Was für ein Mädchen?«
    »Das Euch den Schal gewebt hat.«
    »Oh!« Strupp zog die Stirn in Falten. »Sigrita.« Er dachte eine ganze Weile nach. »Nun – weißt du, wir blieben fast ein Jahr dort. Es ist harte Arbeit, ein erobertes Land richtig zu verwalten, harte Arbeit. Härter, als den verdammten Krieg zu führen, so kam es mir manchmal vor. Sie war eins von den Mädchen, die die Halle sauber machten, in der der König wohnte – ich wohnte auch dort. Sie hatte Haar wie Gold – nein, heller; es war fast weiß. Ich lockte sie zu mirherein, wie man ein wildes Füllen zähmt: ein freundliches Wort hier, ein paar Extrahappen für ihre Familie dort. Ach ja … ein hübsches Ding war sie!«
    »Wolltet Ihr sie damals heiraten?«
    »Ich glaube schon. Es ist viele lange Jahre her, Junge. Eins ist jedenfalls ganz sicher: Ich wollte sie mitnehmen. Aber sie wollte nicht.«
    Eine Weile sprach keiner von beiden. Um die dicken Burgmauern heulten die Sturmwinde wie von ihrem Herrn vergessene Hunde. Kerzenwachs tropfte und zischte.
    »Wenn Ihr noch einmal entscheiden könntet«, fing Simon schließlich wieder an, »wenn Ihr noch einmal dort sein könntet«, er rang mit dieser schwierigen Vorstellung, »würdet Ihr … würdet Ihr sie ein zweites Mal zurücklassen?«
    Zuerst kam keine Antwort. Erst als Simon schon den Arm ausstrecken und Strupp sanft schütteln wollte, regte sich der alte Mann und räusperte sich.
    »Ich weiß nicht«, meinte er dann langsam. »Es sieht so aus, als

Weitere Kostenlose Bücher