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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Ihr an seinen Lippen hängt, als stammte jedes einzelne Wort aus dem Buche Ädon.«
    »Die, von denen ich rede, sind lange vor Eurem heiligen Buch geboren, Bischof«, entgegnete Jarnauga sanft; aber die schräge Haltung seines Kopfes war grimmig und kampfbereit.
    »Reine Fantasie«, brummte Anodis. »Ihr haltet mich für einen mürrischen alten Mann, aber ich warne Euch vor solchen Ammenmärchen, denn sie werden Euch ins Verderben führen. Trauriger jedoch ist, dass Ihr vielleicht unser ganzes Land mit Euch in den Abgrund reißt.«
    Er machte das Zeichen des Baumes vor sich in die Luft, als zeichne er einen Schild, und wankte dann ohne ein weiteres Wort am Arm des jungen Priesters hinaus.
    »Fantasie oder nicht, Dämonen oder Sithi«, erklärte nun Josua und stand von seinem Stuhl auf, um die Versammlung zu mustern, »dies hier ist meine Halle, und ich habe diesen Mann gebeten, uns zu berichten, was er weiß. Es wird keine weiteren Unterbrechungen geben.« Er ließ den Blick durch den dämmrigen Raum schweifen und setzte sich wieder, zufrieden mit der Wirkung seiner Worte.
    »Gut solltet Ihr mir nun lauschen«, fuhr Jarnauga fort, »denn jetzt kommt der Kern dessen, was ich zu sagen habe. Ich spreche von Ineluki , dem Sohn Iyu’unigatos, des Erlkönigs.
    Ineluki, dessen Name in der Sprache der Sithi ›Hier ist kluge Rede‹ bedeutet, war der jüngere der beiden Söhne des Königs. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Hakatri hatte er gegen die schwarze Hidohebhi gekämpft, den Mutterdrachen des roten Lindwurms Shurakai, den Johan der Priester erschlug, und auch die Mutter von Igjarjuk, dem weißen Drachen des Nordens.«
    »Vergebung, Jarnauga.« Einer von Gwythinns Gefährten erhob sich. »Eure Worte klingen seltsam für uns, aber nicht völlig fremd. Wir Hernystiri kennen Geschichten von einem schwarzen Drachenweibchen, der Mutter aller Lindwürmer, nur dass sie darin Drochnathair genannt wird.«
    Jarnauga nickte, wie ein Lehrer einem Schüler zunickt. »Das war ihr Name bei den ersten Menschen im Westen, lange bevor Hern den Taig in Hernysadharc errichtete. So überleben kleine Stücke und Reste älterer Wahrheit in den Geschichten, die Kinder im Bett hören oder die sich Soldaten und Jäger am Lagerfeuer erzählen. Aber Hidohebhi war ihr Name bei den Sithi, und sie war mächtiger als ihre beiden Kinder. Als die Königssöhne sie töteten – worüber man sich ebenfalls eine lange und berühmte Geschichte erzählt –, erlitt Inelukis Bruder Hakatri furchtbare Verletzungen, Verbrennungen vom schrecklichen Feuer des Wurms. In ganz Osten Ard gab es kein Heilmittel für seine Wunden oder Linderung für den unendlichen Schmerz, aber er konnte auch nicht sterben. Schließlich ließ ihn der König mit seinem vertrautesten Diener in ein Bootsetzen, und sie segelten über den Ozean nach Westen, wo, wie die Sithi hofften, hinter der untergehenden Sonne ein anderes Land lag, ein Ort ohne Schmerzen, an dem Hakatri wieder gesund werden könnte.
    So stand Ineluki trotz der Heldentat, Hidohebhi erschlagen zu haben, als Erbe seines Vaters unter dem Schatten von Hakatris Unglück. Möglicherweise machte er sich auch selber Vorwürfe. In der Folge verbrachte er lange Jahre damit, nach Wissen zu forschen, das wohl besser für Mensch und Sithi gleichermaßen unerreichbar hätte sein sollen. Vielleicht dachte er zuerst, er könne seinen Bruder heilen, ihn aus dem fremden, fernen Westen nach Hause holen … aber wie es bei solcher Suche immer geschieht, wurde das Forschen für ihn Selbstzweck und trug seinen Lohn in sich selbst; und Ineluki, dessen Schönheit einst wie leise Musik im Palast von Asu’a gewesen war, entfremdete sich seinem Volk mehr und mehr und forschte an dunklen Stätten.
    Und als sich die Menschen im Norden erhoben, plünderten und mordeten und endlich einen Ring aus giftigem Eisen um Asu’a legten, da war es Ineluki, der sich als Einziger den Kopf darüber zerbrach, wie man aus der Falle entkommen könnte.
    In den tiefen Höhlen unter der Feste, von kunstreichen Spiegeln erhellt, wuchsen die Hexenholzgärten, der Ort, an dem die Sithi die Bäume hegten, deren seltsames Holz sie gebrauchten wie die Männer des Südens die Bronze und die Nordleute das Eisen. Die Hexenholzbäume, deren Wurzeln, wie manche sagen, bis zum innersten Kern der Erde hinabreichen, wurden von Gärtnern gepflegt, die so heilig waren wie Priester. Jeden Tag sprachen sie die alten Zaubersprüche und hielten die sich niemals ändernden Rituale

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