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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Freunde?
    Wie ging der alte Reim noch? Sechs Könige …
    Sechs Könige einst herrschten in Hochhorst-Hallen weit,
    sechs Herrscher einstmals schritten auf seinen Mauern breit,
    sechs Gräber auf den Klippen, hoch über Kynslaghs Gruft,
    sechs Könige dort schlafen, bis Jüngster Tag sie ruft.
    Das war es!
    Und Fingil war der Erste, Blutkönig, wie er hieß,
    auf rotem Kriegesflügel von Nord nach Süd er stieß.
    Sein Sohn war König Hjeldin, ein irrer, böser Mann,
    der sprang vom Geisterturme, als Toter kam er an.
    Ikferdig der Verbrannte, der hielt getreue Wacht,
    er traf den Feuerdrachen in finstrer Mitternacht.
    Drei Könige von Norden, jetzt alle tot und kalt,
    der Norden herrscht nicht länger im Hochhorst stolz und alt.
    Das waren die drei Rimmersgardkönige zur Linken des Thrones. War es nicht Fingil, von dem Morgenes gesprochen hatte, der das Schreckensheer angeführt hatte? Der die Sithi getötet hatte? Dann mussten zur Rechten der vergilbten Gebeine die anderen stehen.
    Der Reiherkönig Sulis, genannt der Renegat,
    floh Nabban, doch im Hochhorst, da sühnte er die Tat.
    Mit Stechpalmkönig Tethtain von Hernystir war’s aus,
    er kam wohl durch die Pforte, doch niemals mehr heraus.
    Zuletzt der Fischerkönig Eahlstan, ein wahrhaft weiser Mann,
    der weckte auf den Drachen, im Hochhorst starb er dann …
    Ha! Simon starrte in das traurig verzogene Gesicht des Reiherkönigs und weidete sich an dem Anblick. Mein Gedächtnis ist besser, als die meisten Leute hier glauben – besser als das der meisten Mondkälber! Natürlich gab es jetzt endlich einen siebten König im Hochhorst – den alten Priester Johan. Simon überlegte, ob wohl jemand irgendwann dem Lied einen Vers über Johan Presbyter hinzufügen würde.
    Die sechste Statue, der rechten Armlehne des Thrones am nächsten, mochte Simon am liebsten. Sie stellte den einzigen gebürtigen Erkynländer dar, der je auf dem großen Thron des Hochhorstes gesessen hatte. Er trat näher, um in die tief eingemeißelten Augen des heiligen Eahlstan zu blicken, den man Eahlstan Fiskerne nannte, weil er vom Fischervolk des Gleniwent abstammte, oder auch den Märtyrer, weil auch ihn der Feuerdrache Shurakai tötete, das Untier, das dann endlich von Johan dem Priester vernichtet wurde.
    Anders als bei Ikferdig dem Verbrannten auf der anderen Seite des Thrones war das Gesicht des Fischerkönigs nicht von Furcht und Zweifel verzerrt. Vielmehr hatte der Bildhauer strahlenden Glauben in das steinerne Antlitz gelegt und den undurchsichtigen Augen den Anschein gegeben, als schauten sie ferne Dinge. Der längst verstorbene Meister hatte Eahlstan demütig und ehrfürchtig, zugleich aber auch kühn gestaltet. Insgeheim stellte sich Simon oft vor, sein eigener Vater, der Fischer, hätte so ausgesehen.
    Während er noch so starrte, spürte Simon plötzliche Kälte an seiner Hand. Er hatte die knöcherne Armlehne des Thrones berührt! Ein Küchenjunge hatte den Thron angefasst! Er riss seine Finger los, wobei er sich verwundert fragte, wie die toten Überreste eines so feurigen Tiers sich derart kalt anfühlen konnten, und stolperte einen Schritt zurück.
    Einen Augenblick blieb ihm fast das Herz stehen, denn es war, als neigten sich ihm die Statuen langsam zu, als dehnten sich dieSchatten auf den Wandbehängen. Hastig zog sich Simon zurück. Als nichts mehr folgte, das nach wirklicher Bewegung aussah, richtete er sich mit aller ihm zu Gebot stehender Würde auf, verneigte sich vor Königen und Thron und entfernte sich rückwärts gehend. Er tastete mit der Hand – ruhig, ruhig, ermahnte er sich, sei kein Angsthase –, bis er endlich die Tür zum Stehraum fand, seinem eigentlichen Ziel. Er sah noch einmal zurück auf das beruhigend unbewegte Bild, dann schlüpfte er hinaus.
    Hinter den schweren Wandbehängen des Stehraums mit ihrem dicken, roten, mit Festszenen bestickten Samt führte eine Treppe in der Mauer zu einem Abtritt ganz oben auf der südlichen Galerie des Thronsaales. Simon schalt sich ob seiner Furchtsamkeit und kletterte die Stufen hinauf. Oben angelangt, war es ein leichtes, sich durch den hohen Fensterschlitz des Abtritts zu zwängen und auf die darunterliegende Mauer zu steigen. Allerdings war das Kunststück jetzt ein bisschen mühsamer als im Septander, als er zuletzt hier gewesen war: Die Steine waren glatt vom Schnee, und es wehte ein energischer Wind. Zum Glück war die Mauerkrone breit; Simon bewegte sich vorsichtig fort.
    Jetzt kam das Stück, das er am

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