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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gekommen war, hebelte er die Tür auf und schlüpfte in den Thronsaal.
    Die riesigen Angeln knarrten, dann war es still. Simons Schritt hallte von allen Wänden, verstummte dann und verschmolz endlich mit dem tiefen, atmenden Schweigen. Sooft er auch durch den Thronsaal schlich – und er war, soweit er wusste, mehrere Jahre der einzige Bewohner der Burg gewesen, der ihn noch zu betreten gewagt hatte: Nie war er ihm anders als ehrfurchtgebietend erschienen.
    Erst letzten Monat, nach König Johans unerwartetem Aufstehen vom Krankenbett, hatten Rachel und ihr Geschwader endlich wieder die verbotene Schwelle überschritten. Sie hatten sich einen zwei Wochen dauernden Angriff auf Jahre voller Staub und Schmutz gegönnt, auf zerbrochenes Glas, Vogelnester und die Netze von Spinnen, die längst zu ihren achtbeinigen Ahnen versammelt worden sind. Doch trotz solchen unbarmherzigen und unversöhnlichen Reinemachens strahlte der Thronsaal selbst in gründlich gereinigtem Zustand, mit gescheuerten Bodenplatten und abgewaschenen Wänden und den bislang nur zum Teil von ihrer Rüstung aus Staub befreiten Bannern, etwas von Alter und Stille aus. Hier schien die Zeit nur an den gemessenen Schritt des Altertums gebunden.
    Das Podest stand am äußersten Ende des großen Saals in einem Teich aus Licht, das sich aus einem Ornamentfenster des Deckengewölbes ergoss. Darauf erhob sich der Drachenbeinthron wie ein fremdartiger Altar – leer, von leuchtenden, tanzenden Staubkörnern umschwebt und flankiert von den Standbildern der sechs Hochkönige des Hochhorstes.
    Die Knochen des Thrones waren mächtig, dicker als Simons Beine, und so gründlich poliert, dass sie stumpf glänzten wie sehr glatter Stein. Mit wenigen Ausnahmen hatte man sie so zerteilt und wieder zusammengesetzt, dass man, so deutlich auch ihre Größe zu erkennen war, nur schwer erraten konnte, in welchem Teil des gewaltigen Feuerlindwurmkörpers sie einst verborgen gewesen waren. Die Rückenlehne des Thrones hinter den Samtpolstern, die weit über Simons Kopf hinausragte, war jedoch sofort als das auszumachen, was sie war: ein riesenhafter, sieben Ellen hoher Fächer aus gebogenen, gelben Rippen. Gleiches galt für den Schädel. Über der Rückenlehne des großen Thrones ragte er so weit hervor, dass er als Sonnendach dienen konnte, falls jemals mehr als ein dünner Streifen Sonnenlicht in den düsteren Saal eindringen sollte. Es waren Hirnschädel und Kiefer des Drachen Shurakai. Die Augenhöhlen erschienen Simon wie zerbrochene schwarze Fenster, die Zähne wie braune Spieße, so lang wie seine Hand. Der Drachenschädel hatte die Farbe alten Pergaments und war von einem Netz winziger Risse überzogen, und doch lebte etwas an ihm, war schrecklich und wundervoll lebendig.
    Überhaupt besaß der ganze Raum etwas Erstaunliches, Heiliges, das weit über Simons Verstand hinausreichte. Der Thron aus schweren, vergilbten Gebeinen, die massiven schwarzen Figuren, die in dem hohen, verlassenen Saal einen leeren Sitz bewachten, das alles schien von einer furchtbaren Macht erfüllt zu sein. Es war, als hielten alle acht Kreaturen im Raum, der Küchenjunge, die Statuen, der ungeheure, augenlose Schädel, den Atem an.
    Diese gestohlenen Momente versetzten Simon in stille, fast angstvolle Verzückung. Vielleicht harrten die Malachitkönige nur mit schwarzer, steinerner Geduld darauf, dass der Junge mit lästerlicher Plebejerhand den Drachenbeinthron berührte … Sie warteten und warteten und würden plötzlich mit einem grauenvollen, knarrenden Geräusch zum Leben erwachen! Simon bebte vor Anspannung und Vergnügen über seine eigenen Vorstellungen, machte einen vorsichtigen Schritt nach vorn und musterte die dunklen Gesichter.
    Ihre Namen, jeder einzelne, waren ihm einst so vertraut gewesen,ganz unsinnig aneinandergereiht in einem Kinderreim, einem Reim, den Rachel – Rachel? Er konnte sich nicht genau erinnern – ihm beigebracht hatte, als er noch ein kichernder Affe von vielleicht vier Jahren gewesen war. Wenn schon für ihn die eigene Kindheit so lange zurückzuliegen schien, fragte er sich plötzlich, wie musste es dann bei Johan dem Priester sein, der so viele Jahrzehnte auf den Schultern trug? Unbarmherzig klar, so wie Simon sich an vergangene Demütigungen erinnerte, oder sanft und unbestimmt, wie Geschichten aus glorreicher Vergangenheit? Verdrängten die Erinnerungen die anderen Gedanken, wenn man alt war? Oder verlor man sie – die Kindheit, die verhassten Feinde, die

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