Der Drachenbeinthron
Schöne Volk aß langsam. Manchmal betrachteten sie lange Augenblicke eine Beere in ihren Fingern, bevor sie sie zum Munde führten. Es wurde wenig gesprochen, aber wenn einer von ihnen in seiner fließenden Sprache eine Bemerkung machte, lauschten alle. Meistens folgte keine Antwort; hatte jedoch einmal ein anderer etwas zu erwidern, hörten auch ihm alle zu. Es gab viel leises Lachen, aber weder Rufen noch Streiten, und Simon stellte fest, dass niemals jemandem ins Wort gefallen wurde.
An’nai war nähergerückt und hatte sich zu Simon und Binabik gesetzt. Einer der Sithi gab eine feierliche Erklärung von sich, die die anderen zum Lachen brachte. Simon bat An’nai, ihm den Scherz zu erklären.
Der Sitha mit der weißen Jacke machte ein etwas verlegenes Gesicht. »Ki’ushapo hat gesagt, deine Freunde äßen, als hätten sie Angst, die Speisen liefen ihnen davon.« Er deutete auf Haestan, der sich mit beiden Händen das Essen in den Mund stopfte.
Simon verstand nicht ganz, was An’nai meinte – bestimmt hatten sie doch schon Hungrige gesehen? –, lächelte jedoch trotzdem.
Als das Mahl seinen Fortgang nahm und ein anscheinend unerschöpflicher Strom von Wein immer wieder ihre hölzernen Pokale füllte, begannen der Rimmersmann und die beiden Krieger der Erkynländer Wache sich langsam wohlzufühlen. Irgendwann stand Sludig auf, ließ den Wein in seinem Becher hin- und herschwappen und brachte einen herzhaften Trinkspruch auf die neuen Sithifreunde aus. Jiriki lächelte und nickte, aber Khendraja’aro erstarrte. AlsSludig dann ein altes nordisches Trinklied anstimmte, zog sich der Onkel des Prinzen unauffällig in eine Ecke der großen Höhle zurück, um in den vom Schein der Lampen erhellten, sanft gewellten Teich zu starren.
Die anderen Sithi an der Tafel lachten, als Sludig mit seiner grölenden Stimme die Kehrreime sang, und schwankten im trunkenen Rhythmus mit, wobei sie manchmal untereinander tuschelten. Sludig, Haestan und Grimmric machten jetzt einen recht zufriedenen Eindruck, und selbst Binabik grinste vor sich hin und lutschte an einer Birnenschale. Nur Simon, der an die zauberhafte Musik der beiden Sithi dachte, fühlte einen Anflug von Scham für seinen Gefährten, als wäre der Rimmersmann ein Festbär, der auf der Mittelgasse für ein paar Krümel tanzte.
Nachdem er eine Weile zugeschaut hatte, stand Simon auf und wischte sich vorn am Hemd die Hände ab. Auch Binabik erhob sich und erbat Jirikis Erlaubnis, den verdeckten Gang hinunterzusteigen, um nach Qantaqa zu sehen. Die drei Soldaten lachten brüllend untereinander und erzählten sich – Simon zweifelte nicht daran – die üblichen Witze betrunkener Soldaten. Er trat an eine der Wandnischen, um sich die seltsamen Lampen genauer anzusehen. Jäh fiel ihm der leuchtende Kristall ein, den Morgenes ihm gegeben hatte – war er vielleicht auch ein Werk der Sithi gewesen? Ihm wurde kalt und einsam ums Herz. Er hob eine der Lampen auf und sah durch sie hindurch den schwachen Schatten seiner Handknochen, als bestehe das Fleisch nur aus trübem Wasser. So scharf er aber auch hinschaute, er konnte nicht herausfinden, wie die Flamme in den durchscheinenden Kristall hineingekommen war.
Er fühlte einen Blick im Nacken und drehte sich um. Es war Jiriki, der ihn anstarrte. Von der anderen Seite des Feuers glühten seine Katzenaugen zu ihm hinüber. Simon zuckte überrascht zusammen; der Prinz nickte.
Haestan, dem der Wein in den zottigen Schädel gestiegen war, hatte einen der Sithi – den An’nai Ki’ushapo genannt hatte – zum Armdrücken herausgefordert. Ki’ushapo, mit gelben Zöpfen und schwarzgrauer Kleidung, erhielt von dem beschwipsten Grimmric gute Ratschläge. Es war auch klar, weshalb der dürre Wachsoldatseine Unterstützung für angebracht hielt: Der Sitha war einen Kopf kleiner als Haestan und sah aus, als hätte er kaum mehr als die Hälfte seines Gewichts. Als der Sitha sich mit etwas verwirrter Miene über den glatten Stein beugte, um Haestans breite Hand zu ergreifen, stand Jiriki auf und glitt an ihnen vorbei, um geschmeidig den Raum zu durchqueren, bis er neben Simon stand.
Es fiel dem Jungen immer noch schwer, diese selbstsichere, kluge Persönlichkeit mit dem halb wahnsinnigen Geschöpf zusammenzubringen, das er in der Falle des Kätners gefunden hatte. Nur wenn Jiriki eine bestimmte Kopfbewegung machte oder die langgliedrigen Finger bog, konnte Simon etwas von der Wildheit entdecken, die ihn damals gleichermaßen
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