Der Drachenbeinthron
erschreckt und fasziniert hatte; und wenn sich der Feuerschein in den goldgefleckten Bernsteinaugen des Prinzen brach, leuchteten sie uralt wie Edelsteine im schwarzen Boden des Waldes.
»Komm, Seoman«, sprach der Sitha ihn an, »ich möchte dir etwas zeigen.« Er schob die Hand unter den Ellenbogen des Jungen und führte ihn zu dem Teich, an dem Khendraja’aro saß und die Finger durchs Wasser gleiten ließ. Als sie am Feuer vorbeikamen, sah Simon, dass der Wettkampf im Armdrücken in vollem Gange war. Die beiden Gegner hatten sich fest ineinander verkrallt, ohne dass einer von beiden im Vorteil zu sein schien. Aber Haestans bärtiges Gesicht war zu einem verbissenen Grinsen der Anstrengung verzogen, während dem schlanken Sitha die unentschiedene Situation wenig auszumachen schien, nur dass sein graugekleideter Arm unter der Anspannung des Kampfes ein wenig zitterte. Simon dachte, dass dies für Haestan nichts Gutes besage. Sludig, der merkte, wie der Kleine den Großen zu besiegen begann, saß mit offenem Mund daneben.
Als sie näher kamen, sprach Jiriki seinen Onkel an, erhielt jedoch von Khendraja’aro keine Antwort. Das alterslose Gesicht schien unzugänglich wie eine verriegelte Tür. Simon folgte dem Prinzen an ihm vorbei und die Höhlenwand entlang. Gleich darauf verschwand Jiriki vor seinem erstaunten Blick. Der Sitha war jedoch nur in einen anderen Tunnel getreten, der sich um den steinernen Zufluss des kleinen Wasserfalles wand. Simon ging ihm nach. Der Tunnel führte auf rauhen Steinstufen in die Höhe. Eine Lampenreihe erhellte ihn.
»Bitte folge mir«, sage der Sitha und begann hinaufzusteigen.
Simon kam es vor, als kletterten sie hoch in das Innere des Berges, lange Zeit und immer wieder im Kreis herum. Endlich ließen sie die letzte Lampe hinter sich und setzten ihren Weg in fast völliger Dunkelheit vorsichtig fort, bis Simon vor sich Sterne schimmern sah. Gleich darauf erweiterte sich der Gang zu einer kleinen Kammer, deren eine Seite dem Nachthimmel offenstand.
Simon folgte Jiriki ans Ende der Höhle, wo sich eine gürtelhohe Steinbrüstung erhob. Unter ihnen fiel die felsige Bergwand steil ab: zehn kahle Ellen bis zu den Spitzen der hohen, immergrünen Bäume, fünfzig weitere bis zum verschneiten Boden. Die Nacht war klar, die Sterne leuchteten entschlossen gegen die Finsternis an, und von allen Seiten umgab sie der Wald wie ein ungeheures Geheimnis.
Nachdem sie eine Weile still verharrt hatten, sagte Jiriki: »Ich schulde dir ein Leben, Menschenkind. Fürchte nicht, dass ich es vergessen werde.«
Simon antwortete nicht, aus Angst, den Zauber zu brechen, der es ihm erlaubte, hier mitten in der Nacht des Waldes zu stehen, ein Spion in Gottes dunklem Garten. Eine Eule rief.
Wieder verging eine schweigende Zeit, dann berührte der Sitha Simon leicht am Arm und deutete über das stumme Meer der Bäume hinweg.
»Dort, im Norden, unter Lu’yasas Stab …« Er wies auf eine Reihe von drei Sternen am tiefliegenden Rand des samtenen Himmels. »Kannst du den Umriss der Berge erkennen?«
Simon starrte. Er glaubte ein mattes leuchten am unbestimmten Horizont wahrzunehmen, die ganz schwache Andeutung eines großen, weißen Gebildes, so weit entfernt, dass das Mondlicht, das unter ihnen auf Bäume und Schnee fiel, es gar nicht mehr zu erreichen schien. »Ich glaube, ja«, erwiderte er leise.
»Das ist euer Ziel. Der Gipfel, den die Menschen Urmsheim nennen, ist ein Teil dieser Bergkette, obwohl die Nacht noch klarer sein müsste, damit du ihn erkennen könntest.« Er seufzte. »Dein Freund Binabik sprach heute vom verlorenen Tumet’ai. Einst konnte man es von hier aus sehen, dort drüben im Osten«, er deutete ins Dunkle, »hier von diesem Aussichtspunkt aus; doch das war zu einer Zeit, alsmein Ur-Urgroßvater noch am Leben war. Bei Tageslicht fing sich die aufgehende Sonne in den Kristall- und Golddächern des Seni Anzi’in, des Turmes der Wandelnden Morgendämmerung. Es heißt, er soll ausgesehen haben wie eine wunderbare Fackel, die am Morgenhorizont loderte …«
Er brach ab und richtete die Augen auf Simon; Nachtschatten verdunkelten das übrige Gesicht.
»Tumet’ai ist lange begraben«, fuhr Jiriki achselzuckend fort. »Nichts ist von Dauer, nicht einmal die Sithi … nicht einmal die Zeit selbst.«
»Wie … wie alt seid Ihr?«
Der Sithiprinz lächelte mit im Mondschein blitzenden Zähnen. »Älter als du, Seoman. Wir wollen nun wieder hinuntersteigen. Vieles hast du heute gesehen
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