Der Drachenbeinthron
und überlebt, und sicher musst du jetzt schlafen.«
Als sie in die vom Feuerschein erhellte Höhle zurückkamen, schnarchten die drei Soldaten bereits lautstark. Binabik war wieder da und lauschte ein paar Sithi, die ein langsames, trauriges Lied sangen, das wie ein Bienenstock summte, wie ein Fluss rauschte und die Höhle erfüllte wie der starke Duft einer seltenen, sterbenden Blume. In seinen Mantel gehüllt, sah Simon dem Licht der Flammen zu, das auf den Steinen an der Decke tanzte, bis ihn die seltsame Musik von Jirikis Stamm in den Schlaf wiegte.
39
Die Hand des Hochkönigs
imon erwachte und merkte, dass das Licht in der Höhle sich verändert hatte. Das Feuer brannte noch, dünne gelbe Flammen in weißer Asche, aber die Lampen waren erloschen. Durch Ritzen in der Decke, die nachts nicht zu sehen gewesen waren, sickerte Tageslicht und verwandelte die steinerne Kammer in eine Halle, die von einigen Säulen aus Licht getragen wurde.
Seine drei Soldatenkameraden schliefen noch, schnarchend in ihre Mäntel gewickelt, alle Glieder von sich gestreckt wie in der Schlacht Gefallene. Sonst war die Höhle leer bis auf Binabik, der mit überkreuzten Beinen am Feuer saß und gedankenverloren auf seiner Wanderstabflöte blies.
Simon richtete sich benommen auf. »Wo sind die Sithi?«
Binabik flötete ein paar weitere Noten, ohne sich umzudrehen.
»Gegrüßt, guter Freund«, meinte er nach einer Weile. »War dein Schlaf zufriedenstellend?«
»Vermutlich«, grunzte Simon und ließ sich wieder fallen, um die Staubkörnchen zu betrachten, die unter dem Höhlendach schimmerten. »Wo sind die Sithi?«
»Auf die Jagd gegangen, könnte man wohl sagen. Komm, steh auf! Ich benötige deine Hilfe.«
Simon stöhnte, erhob sich jedoch mühsam in eine sitzende Position.
»Auf die Jagd nach Riesen?«, fragte er wenig später, den Mund voller Obst. Haestans Schnarchen war so laut geworden, dass Binabik empört die Flöte weggelegt hatte.
»Auf der Jagd nach allem, was ihre Grenzen bedroht, nehme ich an.« Der Troll starrte auf etwas, das vor ihm auf dem Steinboden derHöhle lag. »Kikkasut! Das ergibt keinen vernünftigen Sinn. Gefallen will es mir kein bisschen.«
»Was ergibt keinen Sinn?« Simon ließ den Blick träge durch die Felsenkammer schweifen. »Ist das ein Sithihaus?«
Binabik musterte ihn stirnrunzelnd. »Wahrscheinlich ist es gut, dass du deine Fähigkeit zurückgewonnen hast, viele Fragen auf einmal zu stellen. Nein, dies ist kein Sithihaus, soweit es so etwas überhaupt gibt. Es ist, denke ich, wie Jiriki gesagt hat, eine Jagdhütte, ein Ort, an dem ihre Jäger sich während ihrer Streifzüge aufhalten können. Und was deine erste Frage angeht: Es sind die Knochen, die keinen Sinn machen – oder vielmehr zu viel Sinn.«
Die Wurfknöchel lagen als Häufchen vor Binabiks Knien. Simon betrachtete sie. »Was bedeuten sie?«
»Ich werde es dir gleich sagen. Vielleicht wäre es gut, wenn du diese Zeit nutztest, um dir den Schmutz, das Blut und den Beerensaft vom Gesicht zu waschen.« Der Troll schenkte ihm ein mürrisches gelbes Grinsen und deutete auf den Teich in der Ecke. »Dort kannst du dich reinigen.«
Er wartete, bis Simon einmal den Kopf in das beißend kalte Wasser gesteckt hatte.
»Brrr!«, sagte der Junge bibbernd. »Eisig!«
»Du hast vielleicht gesehen«, erläuterte Binabik ungerührt, »dass ich heute Morgen die Knöchel geworfen habe. Was sie sagen, ist dieses: Pfad im Schatten, Offener Wurfspieß und Schwarze Spalte. Viel Verwirrung und Sorge bereitet mir das.«
»Warum?« Simon spritzte sich noch etwas Wasser ins Gesicht und rieb es mit dem Wamsärmel, der auch nicht mehr der sauberste war, wieder trocken.
»Weil ich die Knochen geworfen habe, bevor wir Naglimund verließen«, erklärte Binabik gereizt, »und dabei genau die gleichen Bilder bekam! Genau die gleichen!«
»Aber wieso ist das schlecht?« Etwas Helles, das auf dem Rand des Teiches lag, fiel Simon ins Auge. Er hob es vorsichtig auf und sah, dass es ein runder Spiegel war, gefasst in einen wundervoll geschnitzten Holzrahmen. In den Rand des dunklen Glases waren fremdartige Schriftzeichen geätzt.
»Oft ist es schlecht, wenn die Dinge gleich bleiben«, antwortete Binabik, »aber bei den Knochen ist es mehr als das. Die Knochen sind Führer zur Weisheit für mich.«
»Mmm-hmm.« Simon rieb den Spiegel an seinem Hemd blank.
»Nun, was wäre, wenn du euer Buch Ädon aufschlagen und entdecken würdest, dass auf allen Seiten nur
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