Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
der in unserer Rimmerspakk ›Eisenaugen‹ bedeutet, denn ich habe gelernt, durch trügerischeSchleier hindurchzusehen, wie schwarzes Eisen Zauber durchbohrt. Was jedoch das Übrige angeht, so kann ich Euch zu dieser späten Stunde keine Weisheit versprechen, die dieses Namens würdig ist.«
    Der Prinz machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich habe den Verdacht, dass du uns schon sehr viel geholfen hast – nämlich dabei, vieles zu sehen, das uns sonst entgangen wäre. Erzähl mir von diesem Bund der Schriftrolle. Hat er dich nach Tungoldyr geschickt, um die Sturmspitze auszuspähen?«
    Der alte Mann schritt neben Josua her, und seine Ärmel flatterten im Wind wie schwarze Banner. »Nein, Prinz, das ist nicht die Art des Bundes. Auch mein Vater war ein Träger der Schriftrolle.« Aus dem Halsausschnitt seiner Kleidung zog Jarnauga eine goldene Kette und zeigte Josua die feingeschnittene Feder und Schriftrolle, die daran hingen. »Er erzog mich dazu, seine Stelle einzunehmen, und das tat ich. Der Bund zwingt niemanden; er bittet die Menschen nur, das zu tun, was sie können.«
    Josua ging schweigend und grübelnd weiter. »Wenn man doch auch ein Land so regieren könnte«, meinte er dann. »Wenn doch die Menschen täten, was sie sollten.« Er richtete den nachdenklichen Blick der grauen Augen auf den alten Rimmersmann. »Aber es ist nicht immer so einfach – Recht und Unrecht lassen sich nur selten so deutlich unterscheiden. Gewiss hat doch euer Bund auch einen Hohepriester oder Führer? War es Morgenes?«
    Jarnaugas Lippen zuckten. »Es gibt in der Tat Zeiten, in denen es von Vorteil für uns wäre, einen Anführer, eine starke Hand zu besitzen. Unser beklagenswerter Mangel an Vorbereitung auf die jetzigen Ereignisse beweist das.« Er schüttelte den Kopf. »Wir hätten Doktor Morgenes sicher ohne zu zögern diese Stellung eingeräumt, wenn er es gewünscht hätte. Er war ein Mann von unfassbar tiefer Weisheit, Josua; ich hoffe nur, dass Ihr ihm zu seinen Lebzeiten mit größter Achtung begegnet seid. Aber er wollte davon nichts wissen. Ihm lag nur daran, zu forschen, zu lesen und Fragen zu stellen. Und dennoch danke ich allen höheren Mächten, wer sie auch sein mögen, dass wir ihn überhaupt so lange hatten. Seine Voraussicht ist jetzt unser einziger Schild.«
    Josua blieb stehen und stützte die Ellenbogen auf die Brüstung. »Also hat euer Bund niemals einen Führer gehabt?«
    »Nicht, seitdem König Eahlstan Fiskerne – Euer Sankt Eahlstan – ihn damals ins Leben rief …« Er brach ab und erinnerte sich. »Einmal hätte es fast jemanden gegeben, sogar zu meiner Zeit. Es war ein junger Hernystiri, auch eine von Morgenes’ Entdeckungen. Er war fast so begabt wie der Doktor, jedoch weniger vorsichtig, sodass er Dinge studierte, mit denen Morgenes nichts zu tun haben wollte. Er war ehrgeizig und meinte, wir sollten uns mit größerer Kraft für die Sache des Guten einsetzen. Er hätte der Anführer werden können, den Ihr meint, Josua. Ein Mann von großer Weisheit und Kraft …«
    Als der Alte nicht weitersprach, sah Josua ihn an. Jarnaugas Blick verlor sich am westlichen Horizont. »Was wurde aus ihm?«, fragte der Prinz. »Ist er tot?«
    »Nein«, antwortete Jarnauga langsam, und noch immer schweiften seine Augen über die wellige Ebene. »Nein, das glaube ich nicht. Er … er veränderte sich. Irgendetwas erschreckte oder verletzte ihn … oder etwas anderes geschah. Er verließ uns; es ist schon lange her.«
    »So habt auch ihr Misserfolge«, sagte Josua und wollte weitergehen. Der alte Mann folgte ihm nicht.
    »O ja«, antwortete er, hob die Hand, wie um die Augen zu beschatten, und starrte in die unbestimmte Ferne hinaus. »Auch Pryrates war einst einer von uns.«
    Bevor der Prinz etwas erwidern konnte, gab es eine Unterbrechung.
    »Josua!«, rief jemand unten im Hof. Die Lippen des Prinzen wurden schmal.
    »Die Herrin Vara«, erklärte er und drehte sich um, nach ihr hinunterzublicken. Empört stand sie da, in einem Kleid aus leuchtendem Rot, und der Wind wirbelte ihr Haar auf wie schwarzen Rauch. Neben ihr stand Strupp, dem offensichtlich unbehaglich zu Mute war.
    »Was wollt Ihr von mir?«, fragte der Prinz. »Ihr solltet im Bergfried sitzen. Ich befehle Euch, in den Turm zu gehen.«
    »Ich war schon dort«, rief sie erbost hinauf. Sie hob ihrenKleidersaum und stöckelte auf die Treppe zu. Im Gehen redete sie weiter. »Und ich gehe auch bald dorthin zurück, habt keine Furcht. Aber zuerst muss ich

Weitere Kostenlose Bücher