Der Drachenbeinthron
noch einmal die Sonne sehen – oder wollt Ihr mich lieber gleich in eine finstere Zelle sperren?«
Trotz seines Ärgers hatte Josua Mühe, sein strenges Gesicht zu wahren. »Der Himmel weiß, dass der Bergfried voller Fenster ist, Herrin.«
Stirnrunzelnd musterte er Strupp. »Kannst du sie nicht wenigstens von der Mauer fernhalten? Die Belagerung wird bald beginnen.«
Der kleine Mann zuckte die Achseln und hinkte hinter Vara die Stufen hinauf.
»Zeigt mir die Streitmacht Eures furchtbaren Bruders«, sagte sie, ein wenig außer Atem, als sie ihn erreicht hatte.
»Wenn sein Heer hier stünde, stündet Ihr nicht hier«, versetzte Josua gereizt. »Es ist nichts zu sehen, noch nicht. Geht jetzt bitte wieder nach unten!«
»Josua?« Jarnauga spähte noch immer nach dem wolkenverhangenen Westen. »Ich glaube, dass es vielleicht doch etwas zu sehen gibt.«
»Was?« Sofort war der Prinz an der Seite des alten Rimmersmannes, den Körper unbequem über die Brüstung gebeugt, während er sich anstrengte, etwas zu erkennen. »Ist es Elias? So schnell? Ich sehe nichts!« In ohnmächtigem Zorn schlug er mit der flachen Hand auf den Stein.
»Ich zweifle, dass es der Hochkönig ist, der so weit von Westen herkommt«, meinte Jarnauga. »Wundert Euch nicht, dass Ihr nichts erkennt. Wie ich Euch sagte, hat man mich gelehrt zu sehen, wo andere nichts finden können. Trotzdem ist dort etwas, viele Pferde und Männer, die auf uns zukommen, wenn auch zu weit entfernt, als dass man schätzen könnte, wie groß ihre Zahl ist. Dort.« Er deutete.
»Gelobt sei Usires!«, rief Josua erregt. »Du musst recht haben. Es kann nur Leobardis sein.« Plötzlich lebendig geworden, richtete er sich gerade auf. Gleichzeitig jedoch umwölkte sich sein Gesicht. »Das ist eine knifflige Angelegenheit«, meinte er halb zu sich selbst.»Die Nabbanai dürfen nicht zu nahe herankommen, sonst werden sie uns nichts nützen, weil sie dann zwischen Elias und den Mauern von Naglimund gefangen sind. Das würde bedeuten, dass wir sie hereinlassen und dann noch ein paar Mäuler mehr stopfen müssten.« Er schritt auf die Treppe zu. »Wenn sie sich aber in zu großer Entfernung halten, werden wir sie unsererseits nicht schützen können, wenn Elias gegen sie vorgeht … Wir müssen ihnen Reiter entgegenschicken!« Er sprang in großen Sätzen die Stufen hinab und rief dabei nach Deornoth und Eadgram, dem Obersten der Wachen von Naglimund.
»Ach, Strupp«, sagte Vara, die Wangen vom Wind und der Hektik der Ereignisse gerötet, »wir werden doch noch gerettet! Es wird noch alles gut.«
»Das wäre mir sehr recht, Herrin«, erwiderte der Narr. »Ich habe das alles schon früher mit meinem Herrn Johan erlebt … und ich bin auf eine Wiederholung nicht erpicht.«
Unten im Burghof begannen die Soldaten zu fluchen und zu rufen. Auf dem Rand des Brunnens stand Josua, das schlanke Schwert in der Hand, und rief seine Befehle. Speere klirrten auf Schilden, und Helme und Schwerter wurden rasch aus den Ecken geholt, wo sie aufgestapelt gelegen hatten. Der Klang von Metall auf Metall stieg von den Mauern auf wie eine Beschwörung.
Graf Aspitis Preves tauschte ein paar knappe Worte mit Benigaris und lenkte dann sein Pferd neben das des Herzogs, um im gleichen Schritt mit ihm durch das hohe, taunasse Gras zu reiten. Am grauen Horizont stand wie ein glänzender Klecks die erste Morgensonne.
»Ah, der junge Aspitis!«, sagte Leobardis jovial. »Was gibt es Neues?« Wenn sich das Verhältnis zwischen ihm und seinem Sohn bessern sollte, musste er versuchen, sich Benigaris’ engen Freunden gegenüber umgänglich zu zeigen – selbst gegenüber Aspitis, den er für einen der weniger gelungenen Sprösslinge des prevanischen Hauses hielt.
»Die Kundschafter sind soeben zurückgekehrt, Herzog.« DerGraf, ein hübscher, schlanker Junge, war ganz blass. »Wir befinden uns weniger als fünf Meilen vor den Mauern von Naglimund, Herr.«
»Gut! Wenn wir Glück haben, können wir am frühen Nachmittag dort sein.«
»Aber Elias ist uns voraus.« Aspitis sah zu dem Herzogssohn hinüber, der einen kaum unterdrückten Fluch ausstieß.
»Hat er bereits mit seinem ganzen Heer die Belagerung begonnen?«, fragte Leobardis überrascht. »Wie denn? Hat er seinen Truppen das Fliegen beigebracht?«
»Nun … nein, Herr. Nicht Elias selber«, verbesserte sich Aspitis eilig. »Es ist ein starker Trupp, der unter der Fahne von Eber und Speeren reitet – Graf Guthwulf von Utanyeats Banner. Sie
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