Der Drachenbeinthron
aus, Sludig wirkte leicht gekränkt.
»Ich glaube nicht«, erwiderte der Sitha. »Aber es gibt etwas, das ich euch mitgeben möchte.« Mit einer fließenden Bewegung griff er mit der langfingrigen Hand in sein Gewand und zog Simons Weißen Pfeil heraus.
»Das gehört dir, Seoman«, erklärte er.
»Was? Aber er … er ist Euer Eigentum, Prinz Jiriki.«
Der Sitha hob einen Augenblick den Kopf, als lausche er einem fernen Ruf, und schlug dann die Augen wieder nieder. »Nein, Seoman, er gehört erst dann wieder mir, wenn ich ihn mir zurückverdiene – ein Leben für ein Leben.« Er hielt ihn zwischen den Händen wie ein Stück Schnur, sodass das schräge Licht von oben die winzigen und komplizierten Muster aufleuchten ließ, die den ganzen Schaft bedeckten.
»Ich weiß, dass du nicht lesen kannst, was da geschrieben steht«, sagte Jiriki langsam, »aber ich will dir sagen, dass es sich um die frühen Worte der Schöpfung handelt, die Vindaomeyo der Pfeilmacher selbst auf diesen Pfeil geschrieben hat – in längst vergangener Zeit, bevor wir vom Ersten Volk in die Drei Stämme gespalten wurden. Er ist so sehr ein Teil meiner Familie, als wäre er aus meinen eigenen Knochen und Sehnen gemacht – und genauso ist er ein Teil von mir. Ich habe ihn nicht unüberlegt aus der Hand gegeben – nur wenige Sterbliche haben jemals einen Staj’a Ame besessen –, und ich kann ihn auf keinen Fall zurücknehmen, bevor ich nicht die Schuld bezahlt habe, deren Zeichen er ist.« Mit diesen Worten gab er den Pfeil Simon, dessen Finger bebten, als er den glatten Schaft berührte.
»Ich … ich habe das nicht gewusst …«, stotterte er, als sei er es plötzlich, der dem anderen etwas schuldete. Er zuckte die Achseln und brachte kein Wort mehr heraus.
»Nun denn«, fuhr Jiriki, zu Binabik und den anderen gewandt, fort. »Mein Schicksal, wie ihr Sterblichen es wohl nennen würdet, scheint auf seltsame Weise mit diesem Menschenkind verknüpft. Es wird euch darum sicher nicht allzu sehr überraschen, wenn ihr hört, was ich euch noch auf eure ungewöhnliche und wahrscheinlich zwecklose Reise mitgeben möchte.«
Nach einer kleinen Weile fragte Binabik: »Und was wäre das, Prinz?«
Jiriki lächelte ein katzenhaft selbstzufriedenes Lächeln. »Mich selbst«, antwortete er. »Ich werde euch begleiten.«
Lange Augenblicke stand der junge Spießkämpfer da und wusste nicht, ob er die Gedanken des Prinzen unterbrechen sollte. Josua starrte in die nicht allzu weite Ferne hinaus und umklammerte mit weißen Knöcheln die Brüstung der Westmauer von Naglimund.
Endlich schien der Prinz die Anwesenheit eines Fremden zu bemerken. Er drehte sich um und zeigte ein Gesicht von so unnatürlicher Blässe, dass der Soldat einen halben Schritt zurückwich.
»Hoheit?«, fragte er, und es fiel ihm schwer, Josua in die Augen zusehen. Der starre Blick des Prinzen, dachte der Soldat, glich dem eines verletzten Fuchses, den er einmal gesehen hatte, als ihn die Hunde packten und bei lebendigem Leibe zerrissen.
»Schick mir Deornoth«, sagte der Prinz und zwang sich zu einem Lächeln, das dem jungen Soldaten noch grausiger vorkam als alles andere. »Und den alten Jarnauga – den Rimmersmann. Kennst du ihn?«
»Ich glaube schon, Hoheit. Er sitzt mit dem einäugigen Vater im Zimmer mit den Büchern.«
»Guter Mann.« Josua hob das Gesicht zum Himmel und betrachtete die tintenschwarzen Wolkenmassen wie ein prophetisches Buch. Der Spießkämpfer zögerte, unsicher, ob er entlassen war, drehte sich dann um und wollte sich unauffällig entfernen.
»Du«, sagte der Prinz und ließ ihn mitten im Schritt erstarren.
»Hoheit?«
»Wie ist dein Name?« Es war, als fragte er den Himmel.
»Ostrael ist mein Name, Hoheit … Ostrael Firsframs Sohn, Herr … aus Runchester.«
Der Prinz warf ihm einen kurzen Blick zu, ließ dann aber seine Augen wie unwiderstehlich angezogen wieder über den sich verfinsternden Horizont schweifen. »Wann warst du zum letzten Mal zu Hause in Runchester, mein guter Mann?«
»Vorletzte Elysiamansa, Prinz Josua, aber ich schick ihnen immer die Hälfte vom Sold.«
Der Prinz zog den hohen Kragen am Hals enger und nickte, als hätte er eine tiefe Weisheit vernommen. »Nun gut denn … Ostrael Firsframs Sohn. Schick mir Deornoth und Jarnauga. Geh jetzt.«
Lange vor diesem Tag hatte man dem jungen Spießkämpfer erzählt, der Prinz sei halb verrückt. Als er jetzt mit den schweren Stiefeln die Treppe zum Torhaus hinunterpolterte, dachte
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