Der Drachenbeinthron
er an Josuas Gesicht und erinnerte sich mit Schaudern an die leuchtenden, verzückten Augen der Märtyrer im Buch Ädon seiner Familie – und zwar nicht allein an die singenden Märtyrer, sondern auch an die müde Trauer des Herrn Usires selber, als man ihn in Ketten zum Richtbaum führte.»Und die Kundschafter sind sich ihrer Sache sicher, Hoheit?«, erkundigte Deornoth sich vorsichtig. Er wollte niemandem unrecht tun, aber er fühlte heute eine Wildheit in dem Prinzen, die er nicht verstand.
»Gottes Baum , Deornoth, natürlich sind sie das! Du kennst sie – alle beide zuverlässige Männer. Der Hochkönig steht an der Grünwate-Furt, keine zehn Meilen von hier. Morgen früh wird er vor unseren Mauern sein. Mit einer beachtlichen Streitmacht.«
»Also ist Leobardis zu langsam.« Deornoth kniff die Augen zusammen, spähte aber nicht südwärts, von wo Elias’ Heer unaufhaltsam näher kam, sondern nach Westen, wo sich irgendwo hinter dem Nebel des späten Morgens die Eisvogel-Legionen mühsam über den Inniscrich und die südliche Frostmark vorarbeiteten.
»Wenn nicht ein Wunder geschieht«, sagte der Prinz. »Ans Werk, Deornoth. Sag Herrn Eadgram, er möge alles vorbereiten. Ich wünsche alle Speere scharf, alle Bogen straff gespannt und keinen Tropfen Wein im Torhaus … oder in den Torhütern. Verstanden?«
»Jawohl, Hoheit.« Deornoth nickte. Er fühlte, wie sein Atem schneller ging und ihm vor lauter Aufregung flau im Magen wurde. Beim Barmherzigen Gott, sie würden dem Hochkönig zeigen, was die Ehre von Naglimund bedeutete, verdammt, das würden sie.
Jemand räusperte sich. Es war Jarnauga, der die Stufen zum breiten Wehrgang so mühelos hinaufstieg wie ein nur halb so alter Mann. Er trug eine von Strangyeards losen, schwarzen Kutten und hatte das Ende seines langen Bartes unter den Gürtel gesteckt.
»Ihr habt mich rufen lassen, Prinz Josua«, grüßte er mit steifer Höflichkeit.
»Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid, Jarnauga«, erwiderte Josua. »Geh nun, Deornoth! Wir sprechen beim Abendessen weiter.«
»Jawohl, Hoheit.« Deornoth, den Helm in der Hand, verbeugte sich und rannte dann, zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinunter. Josua ließ eine kleine Weile verstreichen, bevor er etwas sagte. »Sieh dort, Alter, dort drüben«, begann er endlich und streckte den Arm über das Gewirr der Stadt Naglimund und die dahinterliegenden Wiesen und Äcker aus, deren Grün und Gelb der düstere Himmelschwarz überwölbte. »Die Ratten kommen, um an unseren Mauern zu nagen. Wir werden diese Aussicht lange Zeit nicht mehr ungestört genießen – vielleicht nie mehr.«
»Die ganze Burg spricht von Elias’ Ankunft, Josua.«
»Mit Recht.« Als hätte er den Anblick zu Genüge ausgekostet, kehrte der Prinz der Brüstung den Rücken und heftete den eindringlichen Blick auf den helläugigen Alten. »Hast du Isgrimnur verabschiedet?«
»Ja. Es hat ihm nicht gefallen, dass er in aller Heimlichkeit abreisen musste, und das vor Anbruch der Dämmerung.«
»Was hätten wir sonst tun sollen? Nachdem wir die Geschichte von seinem Auftrag in Perdruin verbreitet hatten, wäre es schwer erklärlich gewesen, wenn ihn jemand in Priestergewändern hätte aufbrechen sehen, noch dazu so bartlos wie einst als Knabe in Elvritshalla.« Der Prinz rang sich ein verbissenes Lächeln ab. »Gott weiß es, Jarnauga, obwohl ich mich selbst über seine Verkleidung lustig gemacht habe, steckt mir der Gedanke wie ein Messer in meinen Eingeweiden, dass ich diesen guten Mann aus den Armen seiner Familie gerissen und ihn fortgeschickt habe, damit er versucht, meine eigenen Fehler wiedergutzumachen.«
»Ihr seid der Gebieter, Josua. Das kann bedeuten, dass der Herr in manchen Dingen weniger frei ist als sein geringster Sklave.«
Der Prinz steckte den rechten Arm unter seinen Mantel. »Hat er Kvalnir mitgenommen?«
Jarnauga grinste. »Er trägt die Scheide unter seinem Übergewand. Möge Euer Gott dem gnädig sein, der diesen dicken, alten Mönch auszurauben gedenkt.«
Das müde Lächeln des Prinzen wurde breiter. »Nicht einmal unser Gott persönlich könnte ihm helfen, so wie Isgrimnur zurzeit gelaunt ist.« Schon verschwand das Lächeln wieder. »Mach einen Gang über die Zinnen mit mir, Jarnauga. Ich brauche deine scharfen Augen und die Weisheit deiner Worte.«
»Es ist wahr, dass ich weiter sehen kann als die meisten anderen Menschen, Josua – mein Vater und meine Mutter brachten es mir bei. Darum trage ich auch meinen Namen,
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