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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie eine schwere, brettsteife Decke nach unten. Simon erhaschte nur einen schnellen Blick auf ein kleines, erschrecktes Gesicht, bevor das Gewicht des Wandteppichs ihn niederstreckte. Während er noch fluchend und strampelnd, völlig in den Stoff verwickelt, dalag, schoss eine braun gekleidete Gestalt an ihm vorbei.
    Simon konnte hören, wie der andere, wer immer es auch sein mochte, sich mit der schweren Tür abplagte, während er mit dem staubigen Tuch rang, das ihn bedeckte. Endlich kam er frei, rollte auf die Füße und machte einen Satz quer durch den ganzen Raum, um die kleine Gestalt zu packen, bevor sie noch durch die bereits einen Spalt geöffnete Tür davonhuschen konnte. Es gelang ihm, mitfestem Griff das grobe Wams zu erwischen. Zwischen Tür und Angel war der Spion gefangen.
    Inzwischen war Simon ernstlich zornig, hauptsächlich aus Ärger über sein eigenes Ungeschick. »Wer bist du?«, fauchte er. »Du Leutebespitzler!« Der Gefangene antwortete nicht, sondern zerrte nur noch stärker. Aber wer immer er war, seine Kraft reichte nicht aus, um sich aus Simons Griff zu befreien.
    Noch während er sich anstrengte, den Widerstrebenden durch die Tür zurückzuziehen – alles andere als eine leichte Aufgabe –, erkannte Simon verblüfft den sandfarbenen Brokat zwischen seinen Händen. Das musste derselbe Junge sein, der an der Kapellentür gelauscht hatte! Simon zog mit aller Macht und riss endlich Kopf und Schultern des Fremden durch den Türrahmen, sodass er ihn ansehen konnte.
    Der Gefangene war klein, mit feinen, fast scharfen Zügen. Nase und Kinn hatten etwas leicht Füchsisches, das jedoch nicht unangenehm wirkte. Die Haare waren schwarz wie Krähenflügel. Einen Moment lang dachte Simon, es könne ein Sitha sein – wegen seiner geringen Größe –, und erinnerte sich unwillkürlich an eine von Shems Geschichten, in der es hieß, dass man den Fuß eines Pukas nicht loslassen dürfte, damit man einen Kessel Gold von ihm gewann. Aber bevor er noch etwas von diesem geträumten Schatz ausgeben konnte, sah er den Angstschweiß und die geröteten Wangen und fand, dass dies hier kein übernatürliches Wesen war.
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er. Der gefangene Junge versuchte von neuem, sich loszureißen, war jedoch offensichtlich allzu erschöpft. Gleich darauf hörte er ganz auf, sich zu wehren.
    »Dein Name?«, beharrte Simon, diesmal in milderem Ton.
    »Malachias.« Keuchend wandte der Junge sich ab. »Also gut, Malachias, warum verfolgst du mich?« Er rüttelte den anderen leicht an der Schulter, nur um ihn zu erinnern, wer hier eigentlich wen gefangen hielt.
    Der Junge fuhr herum und starrte ihn finster an. Seine Augen waren ganz dunkel.
    »Ich habe dir nicht nachspioniert!«, entgegnete er heftig.
    Wieder wandte er das Gesicht ab, aber Simon hatte plötzlich dasGefühl, etwas Vertrautes im Gesicht dieses Malachias entdeckt zu haben, etwas, das er eigentlich erkennen müsste.
    »Und wer bist du, Bürschchen?«, fragte Simon und streckte die Hand aus, um das Kinn des Jungen zu sich zu drehen. »Arbeitest du in den Ställen – arbeitest du überhaupt hier auf dem Hochhorst?«
    Bevor er aber das Gesicht umdrehen und noch einmal anschauen konnte, stemmte ihm Malachias plötzlich beide Hände gegen die Brust und versetzte ihm einen unerwartet harten Stoß. Das Wams des Jungen wurde Simon aus der Hand gerissen, er taumelte zurück und landete auf dem Hosenboden. Bevor er auch nur den Versuch machen konnte, wieder aufzustehen, war Malachias durch die Tür entwischt und hatte sie mit lautem, hallendem Kreischen der bronzenen Angeln hinter sich zugeschlagen.
    Simon saß immer noch auf dem Steinboden – schmerzendes Knie, schmerzendes Hinterteil und tödlich verletzte Würde schrien nach Aufmerksamkeit –, als Barnabas der Küster aus dem Gang zur Staatskanzlei herbeigeeilt kam, um die Ursache des Lärms zu ergründen. Wie vom Donner gerührt blieb er in der Tür stehen und blickte vom stiefellos auf den Fliesen hockenden Simon auf den heruntergerissenen und zerwühlten Wandbehang neben dem Treppenhaus und von dort wieder auf Simon. Barnabas sagte kein Wort, aber ganz oben in seinen Schläfen begannen Adern zu pochen, und seine Brauen zogen sich zusammen und senkten sich nach unten, bis die Augen nur noch winzige Schlitze waren.
    Simon, überrumpelt und hilflos, konnte nur noch sitzen bleiben und den Kopf schütteln wie ein Trunkenbold, der über den eigenen Krug gestolpert und auf der Katze des

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