Der Drachenbeinthron
Abends die Rolle des Heiligen zu spielen, erstarrte, als er die verstörte Miene des jungen Mannes sah.
»Eure Hoheit … Prinz Josua …«, wiederholte der Kniende.
»Was ist, Deornoth?«, fragte der Prinz. Seine Stimme klang angespannt.
Deornoth, das dunkle, grob gestutzte Soldatenhaar umrahmt vom weißen Glanz der Kapuze, blickte auf. In dieser Sekunde hatte er wirklich die Augen eines Märtyrers, ausgebrannt und wissend.
»Der König, Herr, Euer Vater, der König … Bischof Domitis hat gesagt … er sei tot.«
Ohne einen Laut schob Josua sich an dem Knienden vorbei und verschwand im Hof, gefolgt von seinen Soldaten. Gleich darauf erhob sich auch Deornoth und trottete hinter ihnen her, die Hände nach Mönchsart vorn gefaltet, als habe der Atem der Tragödie das Schauspiel in Wirklichkeit verwandelt. Unbeteiligt fiel die Tür zurück ins Schloss und schob einen Stoß kalten Windes in die Stube.
Als Simon sich zu Morgenes umdrehte, starrte der Doktor den Männern nach. Seine alten Augen glänzten und standen voller Tränen.
So geschah es, dass König Johan Presbyter endlich starb, am Tage des heiligen Tunath und in ungewöhnlich vorgerücktem Alter: geliebt, verehrt und so ganz und gar ein Teil des Lebens seines Volkes wie das Land selber. Und obwohl man längst damit gerechnet hatte,war die Trauer über sein Dahinscheiden groß und ergriff alle Länder der Menschen. Ein paar von den Allerältesten erinnerten sich, dass es im Jahr 1083 seit der Gründung – vor genau achtzig Jahren – auch am Tunathstag gewesen war, dass Johan der Priester den Teufelswurm Shurakai erschlagen und im Triumph durch die Tore von Erchester Einzug gehalten hatte. Als diese Geschichte wieder erzählt wurde, nicht ohne einige Ausschmückungen, nickten weise Häupter. Von Gott – wie durch jene große Tat offenbart – zum König vorherbestimmt, meinten sie, war er nun am Jahrestag wieder in den Schoß des Erlösers aufgenommen worden. Man hätte es voraussehen müssen, hieß es.
Es war traurig zu Mittwinter und zur Ädonzeit, auch wenn aus allen Ländern von Osten Ard die Menschen nach Erchester und der Hohen Burg geströmt kamen. Tatsächlich begannen viele der Ortsansässigen, über die Besucher zu murren, die nicht nur in der Kirche die besten Bänke beanspruchten, sondern auch in den Wirtshäusern. Es herrschte auch mehr als nur ein wenig Verärgerung darüber, dass die Fremdländer solch einen Aufwand mit ihrem König trieben; denn obwohl er Gebieter über alle gewesen war, hatten ihn die Bewohner von Erchester immer mehr wie einen schlichten Lehnsherrn betrachtet. In jüngeren, gesünderen Tagen war er nur allzu gern unter die Leute gegangen; zu Pferd und in glänzender Rüstung hatte er einfach wunderbar ausgesehen. Die Bürger der Stadt, zumindest in den ärmeren Vierteln, redeten oft vertraulich und stolz von »unserm alten Mann da oben vom Hochhorst«.
Nun war er fort, befand sich zumindest außerhalb der Reichweite dieser schlichten Gemüter. Jetzt gehörte er den Geschichtsschreibern, den Dichtern und den Priestern.
In den vorgeschriebenen vierzig Tagen, die zwischen Tod und Bestattung eines Königs liegen mussten, wurde Johans Leichnam in die Halle der Vorbereitung von Erchester gebracht, wo die Priester ihn in seltenen Ölen badeten, mit stechend riechenden Kräuterharzen von den Südlichen Inseln einrieben und dann von Kopf bis Fuß in weißes Leinen wickelten, wobei sie ohne Unterlass Gebete von überwältigender Frömmigkeit sprachen. Danach bekleideten sieKönig Johan mit einem schlichten Gewand, wie es junge Ritter beim ersten Gelübde trugen, und betteten ihn sanft auf eine Bahre im Thronsaal, rings umgeben von schmalen, schwarzen, brennenden Kerzen.
Sobald Johans Körper feierlich aufgebahrt war, befahl Vater Helfcene, der Kanzler des Königs, über der Felsfeste von Wentmund das Hayefur anzuzünden, etwas, das nur in Kriegszeiten oder bei großen Ereignissen geschah. Wenige unter den Lebenden konnten sich noch an das letzte Mal erinnern, als man den gewaltigen Fackelturm in Brand gesetzt hatte.
Helfcene gebot außerdem, auf dem Swertclif, oben auf dem östlich von Erchester gelegenen Vorgebirge, das weit über den Kynslagh hinausblickte, eine gewaltige Grube auszuheben. Auf diesem windigen Gipfel erhoben sich bereits die sechs schneebedeckten Hügel der Könige, die vor Johan Presbyter auf dem Hochhorst geherrscht hatten. Es war elendes Wetter zum Graben, der Boden vom Winter gefroren, aber die
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