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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und nassen Steinen, erinnerte er sich an das, was Jiriki einst über die Sterblichen gesagt hatte.
    »Hier bin ich!«, schrie er und ließ Dorn pfeifend auf das tückische Auge zusausen. »Ich bin … Simon!«
    Die Klinge traf, und ein Schwall schwarzen Blutes überströmte ihn, brannte wie Feuer, wie Eis, versengte sein Gesicht. Etwas Großes, Weißes stürzte krachend auf ihn zu und riss ihn hinab ins Dunkel.

43
Dem Erdboden gleich

    as Rotkehlchen landete auf einem niedrigen Ulmenast. Seine orangefarbige Brust leuchtete wie verlöschende Glut. Es drehte langsam den Kopf nach allen Seiten und betrachtete den Kräutergarten. Dabei zwitscherte es ungeduldig, als sei es unzufrieden, alles so verwahrlost vorzufinden.
    Josua sah es fortfliegen, in einem Bogen über die Gartenmauer, dann steil aufwärts über die Zinnen der inneren Burg. Sekunden später war es nur noch ein schwarzer Fleck in der hellgrauen Morgendämmerung.
    »Das erste Rotkehlchen seit langer Zeit. Vielleicht ist es ein Zeichen der Hoffnung in diesem finsteren Yuven.«
    Der Prinz drehte sich überrascht um. Hinter ihm auf dem Weg stand Jarnauga, den Blick auf die Stelle gerichtet, an der gerade noch der Vogel gesessen hatte. Der Alte, dem die Kälte nichts anzuhaben schien, war nur mit Hosen und einem dünnen Hemd bekleidet; die weißen Füße waren nackt.
    »Guten Morgen, Jarnauga«, sagte Josua und zog den Mantel um den Hals ein wenig enger, als lasse ihn die Unempfindlichkeit des Rimmersmannes die Kälte nur noch stärker spüren. »Was führt dich so früh in den Garten?«
    »Mein alter Körper braucht wenig Schlaf, Prinz Josua«, lächelte der andere. »Und ich könnte Euch das Gleiche fragen, wenn ich die Antwort nicht zu kennen glaubte.«
    Josua nickte trübe. »Seit ich zum ersten Mal die Verliese meines Bruders betrat, habe ich nicht mehr gut geschlafen. Zwar wohne ich inzwischen bequemer, aber auch wenn ich nicht mehr in Ketten liege, lässt mich doch die Sorge nicht zur Ruhe kommen.«
    »Es gibt viele Arten von Gefangenschaft«, nickte Jarnauga.
    Eine Weile wanderten sie schweigend durch das Gewirr der Pfade. Der Garten war einst der Stolz der Herrin Vara gewesen, nach ihren peinlich genauen Anweisungen angelegt – für ein Mädchen, das im Planwagen geboren war, tuschelten die Hofleute des Prinzen, legte sie wirklich übertrieben viel Wert auf Eleganz. Jetzt freilich war der Garten vernachlässigt, zum einen des schlechten Wetters wegen, zum anderen wegen allzu vieler weit dringlicherer Dinge, die getan werden mussten.
    »Irgendetwas stimmt nicht, Jarnauga«, sagte Josua endlich. »Ich kann es fühlen. Ich kann es beinahe riechen, wie ein Fischer das Wetter. Was brütet mein Bruder aus?«
    »Mir scheint, er tut sein Bestes, um uns alle zu töten«, erwiderte der alte Mann, ein bitteres Lächeln im ledrigen Gesicht. »Ist es das, was ›nicht stimmt‹?«
    »Nein«, erklärte der Prinz ernsthaft. »Nein. Das ist ja gerade das Bedenkliche. Seit einem Monat wehren wir ihn ab, unter bitteren Verlusten – Baron Ordmaer, Herr Grimsted, Wuldorcen von Caldsae und Hunderte wackerer freier Männer –, aber es ist jetzt fast vierzehn Tage her, dass er den letzten wirklichen Angriff unternommen hat. Seine Attacken waren … eher beiläufig. Er tut nur so, als belagere er uns. Warum?« Er setzte sich auf eine niedrige Bank, Jarnauga neben ihn. »Warum?«, wiederholte er.
    »Nicht immer wird eine Belagerung mit Waffengewalt gewonnen. Vielleicht will er uns aushungern.«
    »Aber warum greift er dann überhaupt an? Wir haben unseren Gegnern schreckliche Verluste zugefügt. Warum wartet er nicht einfach ab? Es sieht aus, als lege er nur Wert darauf, uns in unseren Mauern festzuhalten und selber draußen zu bleiben. Was hat Elias vor?«
    Der Alte zuckte die Achseln. »Wie ich Euch schon gesagt habe: Ich sehe vieles, aber das, was in den Herzen der Menschen liegt, ist auch für mich außer Sichtweite. Bisher haben wir überlebt. Seien wir dankbar.«
    »Das bin ich auch. Aber ich kenne meinen Bruder. Er gehört nicht zu denen, die geduldig dasitzen und abwarten. Es liegt etwas in der Luft, er hat einen Plan …« Er verstummte und starrte auf einverwildertes Hohnblattbeet. Die Blüten hatten sich nicht geöffnet, und unter den ineinandergewachsenen Stengeln stand frech das Unkraut, wie Aasfresser sich unter eine sterbende Herde mischen.
    »Er hätte ein großartiger König sein können, weißt du«, sagte Josua unvermittelt, als beantworte er eine

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