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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die trüben, blauen Augen, die niemals blinzelten, musterten ihn mit gelassener, uralter Bosheit. Simon tat der Kopf weh, als versuche er durch Wasser hindurchzuschauen – diese Augen, die so hohl waren wie Gletscherspalten! Es sah ihn, ja, es erkannte ihn auf irgendeine Weise – es war so alt wie die Gebeine der Berge, so weise und grausam und gleichgültig wie die Zeit selbst.
    Die Kiefer öffneten sich und ein schwarzer Zungensplitter zischte hervor wie ein Messer und kostete die Luft. Der Kopf kam näher.
    »Ske’i, Hidohebhi-Brut!«, rief eine Stimme, und gleich darauf war An’nai auf den Rücken des Untiers gesprungen. Er hielt sich im dicken Pelz fest, hob singend sein Schwert und hackte auf ein schuppiges Hinterbein ein. Simon kam auf die Füße und stolperte rückwärts. Der Drache hob den Schwanz und schleuderte den Sitha fort. An’nai flog fünfzig Ellen durch die Luft und landete am steilen Außenrand des Tales im Schnee, wo er zusammenbrach, nur noch Nebel zwischen sich und der Tiefe. Mit einem Aufschrei der Wut und Verzweiflung rannte Jiriki ihm nach.
    »Simon!«, brüllte der Troll. » Lauf! Wir können hier nichts ausrichten!«
    Noch während er rief, lichtete sich der Nebel, der Simons Verstand getrübt hatte. Schon war er aufgesprungen und lief hinter Jiriki her. Binabik, der am anderen Rand der Spalte gestanden hatte, warf sich, als der Drache von neuem zuschnappte, nach hinten, und die gewaltigen Kiefer schlossen sich mit einem Krachen, als fiele ein eisernes Tor ins Schloss. Der Troll rutschte in eine Eisspalte und war nicht mehr zu sehen.
    Jiriki, reglos wie eine Statue, saß über An’nais Körper gebeugt. Als Simon in seine Richtung stürmte, warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah, dass Igjarjuk von der zerbrochenen Eiszinneheruntergeglitten war und ihm durch das kleine Tal folgte. Die kurzen Beine gruben sich tief in das Eis, während er sich über den Boden schob und die Entfernung zu seiner stolpernden Beute rasch verringerte. Simon wollte Jirikis Namen rufen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt; alles, was er herausbrachte, war ein ersticktes Ächzen. Der Sitha drehte sich um. Seine Bernsteinaugen leuchteten. Er stand auf und stellte sich neben den Körper seines Kameraden, das lange, runenbedeckte Hexenholzschwert kampfbereit vor sich.
    »Komm, Uralter!«, schrie Jiriki. »Komm und koste Indreju, du Bastardkind Hidohebhis!«
    Simon verzog das Gesicht und wühlte sich weiter auf den Prinzen zu.
    Unnötiges Geschrei – der Drache kommt von ganz allein zu uns.
    »Stell dich …«, begann Jiriki, doch in diesem Augenblick – Simon hatte ihn fast erreicht – kippte der Sitha jäh nach hinten; der Schnee unter ihm hatte nachgegeben. Jiriki rutschte rückwärts auf den Talrand zu, in Richtung der leeren Weite darunter. Verzweifelt versuchte er sich im Schnee festzukrallen und kam erst im letzten Moment zum Stehen. Seine Füße baumelten über dem Nichts. Eine Elle daneben lag unbeachtet An’nai, ein blutiges Bündel aus Armen und Beinen.
    »Jiriki …!« Simon verstummte. Hinter ihm ertönte ein Geräusch wie Donner. Er wirbelte herum und sah die gewaltige weiße Masse Igjarjuks auf sich zukommen. Im Takt zur Bewegung der Beine, die ihn vorwärtstrugen, peitschte sein Kopf von einer Seite zur anderen. Simon machte einen Sprung zur Seite und entfernte sich damit von Jiriki und An’nai. Er rollte durch den Schnee und kam wieder auf die Füße. Die blauen Augen des Drachen wichen nicht von ihm, und das Tier, keine hundert Schritte entfernt, schwenkte um und folgte ihm.
    Simon merkte plötzlich, dass er noch immer Dorn umklammert hielt. Er hob es in die Höhe. Das Schwert war auf einmal so leicht wie eine Weidengerte und schien unter seinen Händen zu singen wie ein stramm gespanntes Tau im Wind. Er schaute kurz hinter sich: ein paar Schritte fester Boden, dann die gähnende Leere. In den wirbelnden Nebeln über dem Abgrund schwebte einer der fernen Gipfel – weiß, ruhig, gelassen.
    Usires steh mir bei, dachte er, warum ist der Drache so leise? Sein Geist schien lose in seinem Körper zu treiben. Eine Hand stahl sich zu Miriamels Schal, dann packte er von neuem den silberummantelten Griff. Vor ihm türmte sich Igjarjuks Kopf auf, der Rachen wie ein schwarzes Loch, das Auge eine blaue Laterne. Die Welt schien aus Schweigen zu bestehen.
    Was sollte er als Letztes rufen?
    Während der frostige Atem des Drachen schon zu ihm herüberwehte, ein Gestank nach saurer, kalter Erde

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