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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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unausgesprochene Frage. »Es gab eine Zeit, in der er nur stark war, aber kein Tyrann. Manchmal war er grausam, als wir jünger waren, aber nur auf eine unschuldige Art und Weise, wie große Jungen es gegenüber den kleineren sind. Er hat mir sogar manches beigebracht – Fechten, Ringen … Von mir hat er nie etwas gelernt. Er hat sich für diese Dinge niemals interessiert.« Der Prinz lächelte traurig.
    »Wir hätten sogar Freunde sein können …« Der Prinz faltete die langen Finger und blies warmen Atem hinein. »Wenn nur Hylissa am Leben geblieben wäre.«
    »Miriamels Mutter?«, fragte Jarnauga leise.
    »Sie war sehr schön, eine südliche Schönheit – schwarze Haare, weiße Zähne. Sehr scheu war sie; aber wenn sie lächelte, war es, als habe man eine Lampe entzündet. Und sie liebte meinen Bruder – so gut es ihr möglich war. Aber sie hatte auch Angst vor ihm: so laut, so groß war er. Und sie war sehr klein … schlank wie eine Weide … erschrak, wenn man nur ihre Schulter berührte …« Der Prinz sprach nicht weiter, sondern saß gedankenverloren da. Durch die Wolken am Himmel floss wässriger Sonnenschein und brachte ein wenig Farbe in den öden Garten.
    »Ihr klingt, als hättet Ihr viel von ihr gehalten«, meinte der alte Mann sanft.
    »Oh, ich liebte sie.« Josua sprach in sachlichem Ton, den Blick noch immer fest auf das Hohnblattgestrüpp gerichtet. »Ich brannte vor Liebe zu ihr. Ich betete zu Gott, mich von dieser Liebe zu befreien, obwohl ich wusste, dass ich dann nur noch eine leere Hülle sein würde, ihres lebendigen Kernes beraubt. Nicht, dass meine Gebete mir etwas genützt hätten. Und ich glaube, auch sie liebte mich; oft sagte sie, ich sei ihr einziger Freund. Niemand kannte sie so gut wie ich.«
    »Ahnte Elias etwas davon?«
    »Natürlich. Er war auf jeden eifersüchtig, der bei denFestveranstaltungen des Hofes auch nur neben ihr stand, und ich war ständig an ihrer Seite. Aber immer in Ehren«, fügte er hastig hinzu und unterbrach sich sofort wieder. »Warum nehme ich das so wichtig, selbst heute noch? Usires vergib mir, ich wünschte nur, wir hätten ihn betrogen!« Josua biss die Zähne zusammen. »Ich wünschte, sie wäre meine tote Geliebte und nicht nur die verstorbene Gattin meines Bruders.« Er starrte anklagend auf den vernarbten Fleischklumpen, der aus seinem rechten Ärmel ragte. »Ihr Tod liegt auf meinem Gewissen wie ein großer Stein – es war meine Schuld! Mein Gott, wir sind ein vom Unheil verfolgtes Geschlecht.«
    Er hielt inne, als sich auf dem Pfad Schritte näherten. »Prinz Josua! Prinz Josua, wo seid Ihr?«
    »Hier«, rief der Prinz zerstreut, und einen Augenblick später tauchte einer seiner Wachsoldaten hinter einer Heckenwand auf.
    »Mein Prinz!«, keuchte er und beugte das Knie. »Herr Deornoth bittet Euch, sofort zu ihm zu kommen!«
    »Sind sie schon wieder unter den Mauern?«, fragte Josua, stand auf und schüttelte sich den Tau vom wollenen Mantel. Seine Stimme klang noch immer unbeteiligt.
    »Nein, Herr«, antwortete der Wachsoldat, und sein Mund unter dem Schnurrbart klappte erregt auf und zu, als wäre er ein bärtiger Fisch. »Es ist Euer Bruder – ich meine, der König, Herr. Er zieht sich zurück. Die Belagerung ist beendet!«
    Der Prinz warf Jarnauga einen verwirrten, besorgten Blick zu, als sie hinter dem aufgeregten Wächter den Pfad entlanghasteten.
    »Der Hochkönig hat aufgegeben!«, schrie Deornoth, sobald Josua mit vom Wind geblähtem Mantel die Treppe hinaufkam. »Seht doch! Er zieht den Schwanz ein und rennt!«
    Deornoth drehte sich um und gab Isorn einen kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter. Der Herzogssohn grinste, während der neben ihm stehende Einskaldir dem jungen Erkynländer einen finsteren Blick zuwarf, damit er nur nicht auf den Gedanken kam, etwas so Närrisches auch bei ihm zu versuchen.
    »Also, was ist?«, fragte Josua und drängte sich neben Deornoth auf die leicht abgesackte Vormauer. Genau unter ihnen lagen die zerschmetterten Überreste eines Mineurkastens, Beweis für denvergeblichen Versuch, die Vormauer durch Untertunneln zum Einsturz zu bringen. Die Mauer war ein paar Fuß eingebrochen, hatte aber gehalten; Dendinis hatte für Jahrtausende gebaut. Die Mineure hatten die Holzpfeiler, die ihren Tunnel stützten, in Brand gesetzt und waren von den wenigen Steinen, die sie selber gelockert hatten, erschlagen worden.
    Drüben lag Elias’ Feldlager, ein Ameisenhaufen geschäftiger Betriebsamkeit. Die noch

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