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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und Osten Ard zu wachen. Das Buch Ädon verheißt, dass er schon jetzt in unseren herrlichen Himmel voller Licht und Musik und blauer Berge emporgestiegen ist. Andere, wie unsere Brüder in Hernystir, werden sagen, er sei zu den übrigen Helden gegangen, die in den Sternen wohnen. Aber darauf kommt es nicht an. Denn wo immer er jetzt auch weilen mag, er, der einst der junge König Johan war, ob er in leuchtenden Bergen oder den Gefilden der Sterne thront, dieses eine wissen wir: dass er voller Seligkeit in Gottes Angesicht schaut …«Als der Lektor seine Rede beendet hatte, standen seine Augen voller Tränen. Die letzten Gebete wurden gesprochen, und die Trauergemeinde verließ die Kapelle.
    Simon sah in ehrfürchtigem Schweigen zu, wie König Johans schwarzgekleidete Leibdiener ihm die letzte Ehre erwiesen, ihn umschwärmten wie Käfer eine abgestürzte Libelle und ihn mit seinem königlichen Gewand und seiner Kriegsausrüstung bekleideten. Er wusste, dass er sich hätte entfernen müssen – das hier ging weit über Einschleichen und lauschen hinaus und grenzte an Gotteslästerung –, aber er konnte sich nicht vom Fleck rühren. Furcht und Trauer waren einem seltsamen Gefühl der Unwirklichkeit gewichen. Alles kam ihm wie ein Festspiel, ein Mummenschanz vor, bei dem die Figuren sich in ihren Rollen so steif bewegten, als seien ihre Glieder zu Eis gefroren, aufgetaut und wiederum eingefroren.
    Die Diener des toten Königs hüllten ihn in seine eisweiße Rüstung und schoben ihm die gefalteten Handschuhe in das Wehrgehenk, ließen jedoch die Füße bloß. Über den Brustharnisch zogen sie ein langes, himmelblaues Wams und legten dem Toten einen glänzend scharlachroten Mantel um die Schultern, und bei all dem bewegten sie sich so langsam, als litten sie an einem Fieber. Haar und Bart wurden zu Kriegszöpfen geflochten, und der eiserne Reif, das Zeichen der Herrschaft über den Hochhorst, wurde auf seine Stirn gesetzt. Zum Schluss zog Noah, der alte Knappe des Königs, Fingils eisernen Ring hervor, den er bis dahin zurückgehalten hatte; die plötzlichen Laute seines Kummers zerbrachen die lastende Stille. Noah schluchzte so bitterlich, dass Simon sich fragte, wie er vor lauter Tränen überhaupt genug sehen konnte, um dem König den Ring an den weißen Finger zu stecken.
    Endlich hoben die schwarzgekleideten Käfer den Leichnam wieder auf die Bahre. Bedeckt von seinem Überwurf aus Goldstoff, wurde er zum letzten Mal aus seiner Burg getragen, drei Männer auf jeder Seite. Dahinter folgte Noah mit dem drachengekrönten Kriegshelm des Königs. Oben im Schatten der Empore tat Simon einen tiefen Atemzug – ihm war, als hätte er eine Stunde lang die Luft angehalten. Der König war fort.Als Herzog Isgrimnur sah, wie Johan der Priester durch das Nerulagh-Tor getragen wurde und die Prozession des Adels sich hinter ihm zu ordnen begann, überkam ihn ein sonderbares, unsicheres Gefühl wie ein Traum vom Ertrinken.
    Sei kein Esel, Alter, sagte er zu sich selber. Niemand lebt ewig – auch wenn Johan ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht hat.
    Das Merkwürdige daran war, dass Isgrimnur immer gewusst hatte, selbst als sie Seite an Seite in der tobenden Hölle der Schlacht gestanden hatten und die schwarzgefiederten Thrithingpfeile an ihnen vorübergezischt waren wie Uduns oder besser gesagt, wie Gottes Blitze, dass Johan Presbyter im Bett sterben würde. Diesen Mann im Krieg zu sehen hieß einen vom Himmel Gesalbten sehen, unberührbar und gebieterisch, einen Mann, der noch lachte, als Blutnebel den Himmel verdunkelte. Wäre Johan ein Rimmersmann gewesen – Isgrimnur lächelte innerlich –, hätte er ganz gewiss zu den Berserkern gehört.
    Aber nun ist er tot, und das ist schwer zu begreifen. Seht sie doch an, diese Ritter und Lehnsherren … sie haben auch geglaubt, er würde ewig leben. Jetzt haben die meisten Angst.
    Elias und der Lektor hatten gleich hinter der Bahre des Königs Aufstellung genommen. Isgrimnur, Prinz Josua und die blondhaarige Prinzessin Miriamel, Elias’ einziges Kind, folgten dichtauf. Auch die anderen hochgestellten Familien standen auf ihren Plätzen, ohne das sonst übliche Gedrängel um die günstigsten Positionen. Als der Leichnam dann über den Königsweg nach dem Vorgebirge getragen wurde, schloss sich hinten auch das einfache Volk an, eine riesige Menge, von der Prozession eingeschüchtert und zum Verstummen gebracht.
    Auf einem Bett aus langen Pfählen lag am Fuße des Königsweges

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