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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schien, sammelte sich auf den Turnierlisten alles, was Farben trug im Reich. Wie glänzende Schmetterlinge aus Seide und blinkendem Stahl waren die Ritter und übertrafen alle sterblichen Wesen an Schönheit. Der mit Ruhm gewürzte Wind, der über den Turnierplatz wehte, weckte tiefe Sehnsucht in der Brust junger Männer.
    Wie in ihren Kindertagen gingen Simon und Jeremias zum Böttcher und holten sich lange Latten, um sich daraus Schwerter zu basteln. Stundenlang droschen sie nach der Arbeit aufeinander ein. Zuerst hielten sie ihre Übungsgefechte in den Ställen ab, bis sie Shem Pferdeknecht hinauswarf, um seinen Schützlingen Frieden zu verschaffen; daraufhin zogen sie auf das ungemähte Gras unmittelbar südlich des Turnierplatzes um. Nacht für Nacht hinkte Simon in die Dienstbotenquartiere zurück, die Hosen kaputt und das Hemd zerrissen, und Rachel der Drache schlug die Augen zum Himmel auf und betete mit lauter Stimme zur heiligen Rhiap, sie vor der Tölpelhaftigkeit von Jungen zu bewahren, um dann die Ärmel aufzukrempeln und den blauen Flecken, die Simon sich bereits von Jeremias eingehandelt hatte, noch ein paar hinzuzufügen.
    »Ich glaube …«, prustete Simon, »das … reicht für heute.«
    Jeremias, rot im Gesicht und in sich zusammengesunken, konnte nur noch zustimmend nicken.
    Als sie im schwindenden Licht zur Burg zurückmarschierten, schwitzend und keuchend wie Pflugochsen, stellte Simon beifällig fest, dass Jeremias einiges von seiner Schwerfälligkeit zu verlieren begann. Noch ein oder zwei Monate, und er würde langsam wie ein Soldat aussehen. Vor ihren regelmäßigen Zweikämpfen hatte er eher an eine jener teigigen Massen erinnert, in die sein Meister die Dochte versenkte.
    »Das war gut heute, wie?«, fragte Simon. Jeremias rieb sich den Kopf unter dem kurzgeschorenen Haar und bedachte Simon mit einem angewiderten Blick.
    »Ich begreife selbst nicht, wie du mich dazu überreden konntest«, murrte er. »Leute wie uns lassen sie nie etwas anderes werden als Trossjungen.«
    »Aber auf dem Schlachtfeld ist alles möglich!«, rief Simon. »Vielleicht rettest du das Leben des Königs vor Thrithingmännern oder Räubern aus Naraxi – und wirst dafür auf der Stelle zum Ritter geschlagen!«
    »Hmmm.« Jeremias war nicht beeindruckt. »Und wie bringen wir sie dazu, dass sie uns überhaupt annehmen, ohne Familie, ohne Pferde, sogar ohne Schwerter?« Er wedelte mit seinem Stab.
    »Nun«, sagte Simon, »nun ja … ich werde mir etwas ausdenken.«
    »Hmmm«, stimmte Jeremias zu und wischte sich das gerötete Gesicht mit dem Saum seines Wamses.
    Als sie sich den Burgmauern näherten, flackerte an einem Dutzend Stellen vor ihnen Fackelschein auf. Was einst offenes, weites Grasland im Schatten der Hochhorst-Außenmauer gewesen war, glich jetzt einer Wucherung aus elenden Hütten und Zelten, zusammengedrängt und ineinanderwachsend wie die Schuppen einer alten, kranken Echse. Das Gras war längst verschwunden; Schafe und Ziegen hatten es bis auf die nackte Erde abgeweidet. Während die zerlumpten Bewohner zwischen ihren armseligen Behausungen herumwimmelten, Lagerfeuer für die Nacht errichteten und die Kinder zur anbrechenden Dunkelheit hereinriefen, wurde der Staub von ihren Füßen zu körnigen Schwaden aufgewirbelt, die kurz umherschwebten und sich dann niederließen, um Kleidung und Zeltmaterial in ein gleichmäßig stumpfes Graubraun zu färben.
    »Wenn es nicht bald regnet«, sagte Jeremias und musterte stirnrunzelnd eine Meute kreischender Kinder, die an den farblosen Kleidern einer ebenso farblos aussehenden Frau herumzerrten, »muss die Erkyngarde sie von hier vertreiben. Wir haben auf die Dauer nicht genug Wasser für sie. Sie sollen fortgehen und sich selber ihre Brunnen graben.«
    »Aber wo …«, setzte Simon an, brach aber jäh ab und riss weit die Augen auf. Weit hinten auf einem der Trampelpfade durch die Behelfsstadt hatte er ein Gesicht entdeckt, das ihm bekannt vorkam. Nur kurz war es aus der Menge aufgetaucht und sofort wieder verschwunden, aber er war sicher, dass es dem Jungen gehörte, den er beim Spionieren erwischt und der ihn dem Zorn des Küsters Barnabas ausgeliefert hatte.
    »Da ist der, von dem ich dir erzählt habe!«, zischte er aufgeregt. Jeremias blickte ihn verständnislos an. »Du weißt doch, Mal – Malachias! Mit dem bin ich noch nicht fertig!« Simon näherte sich dem Menschenknäuel, in dem er, davon war er überzeugt, das Gesicht des Spitzels mit den scharfen

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