Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Nabbanai-Bauern.
    Tatsächlich war das Kirchenschiff so groß und hoch, dass es ihm wie eine ganze Welt vorkam. Von den obersten Deckenbögen strömte, von den bunten Fenstern wie durch Wolken gedämpft, Sonnenlicht herein. Weißgekleidete Priester bevölkerten den Altarraum, putzend und polierend wie kahlgeschorene Dienstmägde. Simon vermutete, dass sie den Gottesdienst zu Elysiamess vorbereiteten, der in ein oder zwei Wochen stattfinden würde.
    Näher an der Tür, ebenso geschäftig, sonst aber in jeder Beziehung anders, drängten sich Breyugars Stadtwachen in ihren gelben Wämsern, hier und da untermischt mit der grünen Tracht der Erkyngarde vom Hochhorst oder der graubraunen oder schwarzenKleidung eines angesehenen Bürgers von Erchester. Die beiden Gruppen schienen völlig unabhängig voneinander den Kirchenraum zu füllen; es dauerte einen Augenblick, bis Simon die Schranke aus Brettern und Schemeln bemerkte, die man zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Domes errichtet hatte. Plötzlich begriff Simon, dass diese Abgrenzung nicht dazu diente, die hin und her eilenden Priester im Inneren der Kirche zu halten, wie man zunächst hätte glauben können – nein, ihr Zweck war vielmehr, die Soldaten auszusperren. Es schien, als hätten Bischof Domitis und die Priester noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass die Besetzung ihrer Kathedrale durch den Befehlshaber der königlichen Wachen kein Dauerzustand bliebe.
    Als Simon und Jeremias die Treppe weiter hinaufstiegen, mussten sie nacheinander noch drei anderen Wachtposten ihr Pergament zeigen, wobei diese wesentlich wacher waren als die beiden an der schweren Eingangstür – entweder weil sie hier drinnen keine Sonne ertragen mussten oder weil die Entfernung von ihren Vorgesetzten abnahm.
    Endlich standen die Jungen in einem überfüllten Wachraum vor einem narbengesichtigen, zahnlückigen Veteran, dessen vielgeplagte Gleichgültigkeit zusammen mit einem Gürtel voller Schlüssel ihn als Autorität auswiesen.
    »Ja, der edle Graf Breyugar ist heute anwesend. Gebt mir den Brief, ich werde ihn weiterleiten.« Der Unteroffizier kratzte sich ungerührt am Kinn.
    »Nein, Herr, wir müssen ihn selbst überreichen. Er ist von Doktor Morgenes.« Simon bemühte sich, energisch zu klingen. Jeremias schlug die Augen nieder.
    »Tatsächlich? Was ihr nicht sagt.« Der Mann spuckte auf den mit Sägemehl bestreuten Fußboden. Hier und da schimmerten Marmorfliesen durch. »Ädon soll mich beißen, was für ein Tag! Nun, dann wartet hier.«
    »Aha. Was haben wir denn hier?« Graf Breyugar saß am Tisch vor den Knochenresten einer Mahlzeit, die aus kleinen Vögeln bestanden hatte. Er hob eine Augenbraue. Seine feingeschnittenen Zügewaren im Fleisch der Hängebacken fast verschwunden. Er hatte die Hände eines Musikers, langfingrig und schmal.
    »Einen Brief, edler Herr.« Simon, auf ein Knie gesunken, streckte ihm die Pergamentrolle entgegen.
    »Dann gib ihn doch her, Junge.« Die Stimme des Grafen war hoch und weibisch, aber Simon hatte gehört, dass Breyugar ein furchteinflößender Schwertkämpfer war – diese schlanken Hände hatten schon viele Männer getötet.
    Während der Graf die Botschaft las, wobei er die fettglänzenden Lippen bewegte, bemühte sich Simon, die Schultern gerade und den Rücken steif wie einen Hellebardenstock zu halten. Aus dem Augenwinkel glaubte er zu sehen, dass der grauhaarige Unteroffizier ihn ansah, darum zog er das Kinn ein, starrte geradeaus und dachte darüber nach, wie vorteilhaft er doch von den schlaffen Dummköpfen abstechen musste, die an den Domtüren Wache standen.
    »Bitte lasst Euch … die Überbringer … für den Dienst unter der Führung Eurer gräflichen Gnaden … empfohlen sein …«, las Breyugar laut. Seine Betonung ließ Simon in Panik geraten – hatte er gesehen, dass Simon aus dem »den« ein »die« gemacht hatte? Er hatte ein bisschen undeutlich geschrieben, damit es nicht auffiel.
    Graf Breyugar, den Blick auf Simon geheftet, gab seinem Stabsunteroffizier den Brief. Der las ihn, noch langsamer als Breyugar, während der Edelmann den Jungen von oben bis unten musterte und dann auch dem noch immer knienden Jeremias einen kurzen Blick zuwarf. Als der Unteroffizier den Brief zurückreichte, stand ihm ein Grinsen im Gesicht, das zwei fehlende Zähne und eine rosa Zunge, die im dunklen Abgrund herumbohrte, enthüllte.
    »So.« Breyugar flötete den Ton wie einen kummervollen Atemzug.
    »Morgenes, der alte

Weitere Kostenlose Bücher