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Der Drachenbeinthron

Der Drachenbeinthron

Titel: Der Drachenbeinthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ihre Tücher zurück. Anschließend stand er auf und klopfte sich die Blätter und Baumnadeln aus dem Gewand.
    »Ich denke, das könnte ich«, sagte er dann, als sie sich auf den Rückweg zum Hochhorst machten. »Ich glaube zwar nicht, dass ich das gutheiße – und noch weniger glaube ich, dass eine Botschaft von mir sie alle respektvoll Haltung annehmen lassen wird –, aber wenn Jakob Bescheid weiß, wird es ja wohl in Ordnung sein.« Sie wateten im Gänsemarsch durch das stachlige Dickicht. »Danke, Doktor«, sagte Jeremias atemlos.
    »Ich bezweifle, dass sie dich haben wollen.« Isaak hörte sich ein bisschen neidisch an. Je näher sie der Burg kamen, desto hochnäsiger schien er wieder zu werden.
    »Doktor Morgenes«, bemerkte Simon und bemühte sich nach besten Kräften um einen Ton wohlwollender Uninteressiertheit, »vielleicht sollte ich den Brief schreiben, und Ihr könntet ihn nachsehen und unterzeichnen? Wäre das nicht eine gute Übung für mich?«
    »Wirklich, Simon«, erwiderte der Doktor und stieg über einen umgestürzten Baumstamm, »das ist eine glänzende Idee. Ich freue mich, dass du dich von selbst darum bemühst. Vielleicht mache ich doch noch einen richtigen Lehrling aus dir!«
    Diese vergnügte Erklärung des Doktors, der Stolz in seiner Stimme, legten sich auf Simon wie ein Umhang aus Blei. Er hatte noch gar nichts getan, ganz zu schweigen von etwas Bösem, aber er kam sich bereits vor wie ein Mörder oder Schlimmeres. Gerade wollte er noch etwas sagen, als ein Aufschrei die erstickende Waldluft zerriss.
    Simon fuhr herum und sah Jeremias, weiß im Gesicht wie Weizenbrei, auf etwas im Dickicht neben dem umgefallenen Baum zeigen. Neben ihm stand schreckerstarrt Isaak. Simon rannte zurück, Morgenes nur einen Schritt hinter ihm.
    Es war eine Leiche, die im Fallen halb in das Dickicht gestürzt war. Obwohl das Gesicht überwiegend vom Gebüsch verdeckt war, zeigten einige fast fleischlose Stellen am Körper, dass der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten war.
    »Ohohoh«, hechelte Jeremias, »er ist tot! Gibt es denn hier Gesetzlose? Was sollen wir tun?«
    »Sei still«, fuhr Morgenes ihn an, »das wird für den Anfang reichen! Lass mich sehen.« Der Doktor raffte den Saum seines Gewandes und watete in das Dickicht hinein, wo er stehen blieb und vorsichtig die Äste anhob, die einen großen Teil des Körpers verbargen.
    Den Bartsträhnen nach, die noch immer an dem von Vögeln und Insekten zerfressenen Gesicht hingen, schien es ein Nordländer gewesen zu sein – vielleicht ein Rimmersmann. Er trug unauffällige Reisekleidung, einen leichten Wollmantel und gegerbte Lederstiefel, die inzwischen verfault waren, sodass an einigen Stellen das Pelzfutter zu sehen war.
    »Wie ist er gestorben?«, fragte Simon. Die leeren Augenhöhlen, dunkel und geheimnisvoll, beunruhigten ihn. Der zahnige Kiefer, von dem das Fleisch zurückgewichen war, schien zu grinsen, als liege der Kadaver hier seit Wochen, voller Freude über irgendeinen düsteren Scherz.
    Mit einem Stock schob Morgenes das Wams zur Seite. Ein paar Fliegen erhoben sich träge und umkreisten ihn. »Seht«, sagte er.
    Aus einem kreisrunden Loch im ausgedörrten Leib des Toten ragte der Stumpf eines Pfeils, knapp eine Handbreit über den Rippen abgebrochen.
    »Der Schütze hatte es wohl eilig – und wollte nicht, dass man seinen Pfeil erkennt.«
    Sie mussten einen Augenblick auf Isaak warten, der sich geräuschvoll erbrach, bevor sie zurück zur Burg eilen konnten.

9
Rauch im Wind

    ast du’s bekommen? Hat er was gemerkt?« Trotz der vielen Stunden in der Sonne immer noch blass, hüpfte Jeremias neben Simon her wie der Schwimmer aus Schafsblase an einem Fischernetz. »Ich hab’s«, knurrte Simon. Jeremias’ Aufregung irritierte ihn; sie schien nicht recht zu dem männlichen Ernst ihres Vorhabens zu passen. »Du denkst zu viel.«
    Jeremias war nicht beleidigt. »Hauptsache, du hast es«, meinte er überglücklich.
    Die zum harten Mittagshimmel offene Mittelgasse – das Zeltdach war zurückgerollt worden – war so gut wie ausgestorben. Hier und da lungerten die Männer der Stadtwache in den Hauseingängen herum, in gelben Uniformen, um ihre unmittelbare Zugehörigkeit zu Graf Breyugar zu bekunden, aber mit Schärpen im Grün des Königs; oder sie würfelten an den Mauern geschlossener Läden miteinander. Obwohl der Morgenmarkt längst vorbei war, kam es Simon trotzdem so vor, als sei viel weniger Volk auf der Straße als gewöhnlich.

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