Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
auch nur das Ende der Straße erreicht hätte, ganz zu schweigen vom Stadttor. Und wie er es ohne Glück auch noch den Berg hinauf schaffen sollte, wusste er nicht. Doch aufgeben würde er nicht, er musste erst einmal aus der Stadt rauskommen.
Als sich die Truhe zum dritten Mal in die Erde gegraben hatte und festsaß, konnte er immer noch sein altes Haus sehen, wenn er sich umwandte. Er kam einfach nicht voran. Auf welche Dinge konnte er am leichtesten verzichten? Was konnte er am Straßenrand zurücklassen, ohne dass es jemand stahl, bevor er zurückkam, um es zu holen?
Plötzlich kam Yanko um die Ecke gebogen. Er pfiff vor sich hin und zog einen großen leeren Leiterwagen hinter sich her.
»He, Ben, ich habe gehört, du kannst ein paar Räder unter deiner Truhe gebrauchen?«
Ben strahlte seinen Freund an und ließ sich erschöpft und erleichtert zu Boden sinken. »Mann, Yanko! Wer hat das gesagt?« Hemd, Hose und Haare waren so nass, als wäre er einmal quer durch den Dherrn getaucht.
»So direkt niemand. Aber Sidhy hat in der Schule geprahlt, er würde dich noch heute aus deinem Haus werfen lassen. Ich dachte erst, der schwätzt nur mal wieder groß herum, doch als ich heimgekommen bin, war der Büttel Kazhis gerade bei uns, um ein neues Schwert in Auftrag zu geben. Und er erzählte
meinem Vater hämisch, wie sie dich eben rausgescbmissen hätten, was sie schon längst hätten tun sollen, denn das Haus habe dir schließlich nie gehört. Er hat gelacht und sagte, dass du dein Diebesgut kaum schleppen konntest, und allein daran könne man erkennen, dass du ein raffgieriger kleiner Schmarotzer bist. Mein Vater hat gesagt, da könne ich sehen, wohin ein Leben als Taugenichts führen würde und warum du kein passender Umgang für einen wohlerzogenen Jungen bist.« Yanko grinste. »Meine Mutter beschwert sichja immer, ich sei nicht höflich genug. Ich bin also leider nicht wohlerzogen, und da dachte ich, der Taugenichts könnte vielleicht ein wenig Hilfe gebrauchen.«
»Und wie! Doch zuerst brauche ich eine Pause und einen Schluck Wasser.«
Gemeinsam und mit dem Wagen war es dann ein Leichtes, die Sachen auf den Berg zu schaffen. Die Höhle lag etwa fünfzig oder hundert Schritt abseits des Wegs zur Mine hinauf, und sie war gut verborgen hinter einem Felsen und dichtem Gesträuch. Dort hinauf schafften sie die Dinge ohne Wagen und wünschten Sidhy abwechselnd alle Krankheiten an den Hals, die ihnen einfielen, und noch ein paar, die sie eigens für ihn erfanden.
»Danke«, sagte Ben schließlich, als auch die schwere Truhe endlich oben stand. Die Höhle war nicht besonders groß, aber ein Stück geräumiger als sein Haus. Über die rissigen Wände krabbelten allerlei Insekten und schwarze Gebirgsasseln, der lehmige Boden war von kantigen Gesteinsbrocken übersät. Es roch muffig, und ganz hinten entdeckten sie einen handbreiten Spalt, der hoffentlich nicht bis in Samoths Reich hinabreichte. Im Licht der Laterne konnten sie sein Ende nicht erkennen.
Yanko zuckte nur mit den Schultern. »Ja, schon gut, hättest du für mich doch auch getan.«
Ben nickte.
Yanko nahm das Lederband mit dem verbogenen, durchlochten Groschen vom Hals und reichte es Ben. »Da. Der Groschen hat mir immer Glück gebracht.«
»Aber...?« Ben starrte ihn an.
»Kein aber. Du hast ein bisschen Glück echt nötig. Das ist nur ein Groschen, der ist nicht halb so mächtig wie die Schulterknubbel eines Drachen, an denen ich jetzt schon mehrmals gerieben habe. Aber er bringt doch Glück, und du kannst es brauchen.«
Ben hängte sich den Groschen um den Hals und fühlte sich mit einem Mal sicher. Noch einmal sagte er: »Danke.« Fast war es, als fühle er das Glück zu sich zurückfließen, aber das war wohl nur Einbildung und das ferne Rauschen der Schleierfälle.
»Ich muss dann mal.« Yanko nickte ihm zu und stieg zum Leiterwagen hinunter. Während er den leeren Wagen den holprigen Weg ins Tal zog und dabei eine Melodie pfiff, die er sich aus verschiedenen bekannten Liedern selbst zusammenbastelte, sah Ben ihm lange nach und hielt den Glücksgroschen fest mit der rechten Faust umschlossen.
FEUERSCHUPPE
R asch hatte sich Ben eingerichtet, so gut es ohne Möbel eben ging. Die Matratze lag dort, wo ihm der Boden einigermaßen gerade vorgekommen war, daneben stand die Truhe, aus der er nichts herausgeräumt hatte außer dem Kopfkissen, der Decke, einer Laterne und der Scheide mit dem langen, scharfen Dolch, mit dem er immer die Fische
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