Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
Rumlümmeln befand. Neben ihm standen eine Handvoll Weinflaschen,
die Hälfte davon leer. Doch das Auffälligste war eine Art Metallkasten an der gegenüberliegenden Wand. Das Türchen des Kastens stand offen, und heraus hing ein Schlauch, vielleicht zwei Finger dick, dessen eines Ende durch die Rückseite des Kastens direkt in die Wand führte und dessen anderes Ende einen handtellergroßen, trichterförmigen Abschluss hatte.
»Seid jetzt bloß leise«, flüsterte Byasso und schlich zu dem Schlauch hinüber.
Ben und Yanko folgten ihm auf Zehenspitzen.
Byasso hielt den Trichter mit einer Hand zu. »Der Schlauch endet in Vaters Empfangsraum, und durch ihn kann man hören, was dort gesprochen wird. Ich habe keine Ahnung, ob schon Dagwart den hier eingebaut hat und welcher Bürgermeister damit zuerst belauscht wurde, aber jetzt ist es meiner. Wenn mir langweilig ist, belausche ich meinen Vater. Ich weiß nur nicht, wie gut unsere Worte oben zu verstehen sind, das konnte ich allein nie ausprobieren.«
Ben und Yanko nickten bewundernd, das machte gar kein Geräusch. Lächelnd nahm Byasso die Hand vom Trichter.
Nun drang aus ihm die Stimme des Bürgermeisters. Nicht besonders laut, aber gut verständlich. Die drei Jungen setzten sich im Kreis um die Laterne auf den Boden, den Trichter hielten sie in ihre Mitte und reckten ihm die Ohren entgegen. Anfangs wagte Ben nicht einmal richtig zu atmen, er hatte Angst, dass Bürgermeister Odhulan sonst auch ihn hören konnte.
»Ich hoffe, es mundet?«, fragte der Bürgermeister gerade, und seine Gäste versicherten, der kalte Braten und die Früchte seien ganz ausgezeichnet. Dann lobten sie abwechselnd Trollfurt, seine heroische Vergangenheit und die vielversprechende
Zukunft, jetzt, da die Mine dank der engagierten Vermittlungsarbeit des Bürgermeisters wieder einen neuen Besitzer hatte. Blausilber war ein edles Metall; wo es gefördert wurde, versprach es Wohlstand, nicht nur für den Besitzer einer Mine. Bürgermeister Odhulan versicherte seine Bewunderung für den Orden und die aufopferungsvollen Taten seiner tapferen Ritter.
»Nun ja, danke«, erwiderte Narfried. »Doch zu viel der Ehre, die Tapferste in diesem Raum hier, das ist die Jungfrau Ivallya.«
»Wirklich?« Der Bürgermeister klang neugierig, aber auch ein wenig reserviert. Vielleicht ärgerte es ihn, dass der Ritter gerade eine Jungfrau tapferer genannt hatte als ihn. Aber auch Ben war überrascht.
»Ja«, beharrte der Ritter und erzählte, dass jeder Ritter nur in Begleitung einer Jungfrau auf Drachenjagd ginge, denn Jungfrauen seien die bevorzugte Speise der geflügelten Wesen. »Während ich also, gerüstet mit Schwert und Schild, im Verborgenen auf den geflügelten Drachen lauere, lässt sie sich an einen Pfahl binden und wartet wehrlos auf das Untier. Wir sind dabei fern jeder Ortschaft, damit kein anderer zufällig zu Schaden kommen kann, wenn wir den Drachen anlocken. Wir sind ganz allein, so dass die Nase des Drachen nicht durch die Gerüche anderer Menschen verwirrt wird; ich selbst bin mit Kolbenkraut eingerieben, das verdeckt meinen Geruch. Denn ein Drache riecht Jungfrauen auf Meilen hin, besonders gefesselte.
Befindet sich nun ein Drache in mehreren Meilen Umkreis, so dauert es selten lange, bis er angerauscht kommt. Im Sturzflug von oben, die grässlichen Flügel angelegt, das Maul mit den spitzen Zähnen aufgerissen. Er prallt auf den Boden,
gleich neben dem Pfahl der Jungfrau, die Züge vor Gier verzerrt. Alles, an das er noch denken kann, ist, sich auf sie zu stürzen, sie zu zerfleischen und roh zu verschlingen! Und in eben jenem Moment stürze ich aus der Deckung und schlage dem verfluchten Drachen einen Flügel ab.«
Hier unterbrach sich der Ritter selbst und nahm einen lauten Schluck von seinem Wein.
Die drei Jungen starrten gebannt auf den Trichter, lautlos beschwor ihn Ben, endlich weiterzureden. Endlich hörten sie, wie ein schwerer Becher schwungvoll abgesetzt wurde.
»Nun, ich schmeiße mich also zwischen ihn und die Jungfrau, attackiere auch den zweiten Flügel, doch der Drache schlägt nur halbherzig nach mir, sein eigentliches Ziel ist und bleibt die Jungfrau, die wehrlos am Pfahl hängt. Sie ist es, die die ganze Zeit in Gefahr schwebt! Bis es mir gelingt, auch den zweiten Flügel abzuhacken und damit den Fluch Samoths endgültig von dem armen Geschöpf zu nehmen, das in diesem Moment jedoch noch eine wilde Bestie ist. Hundegroß, pferdegroß oder noch viel, viel
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