Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
weit genug gekommen, um sich sicher zu fühlen.
Der Himmel war wieder bewölkt, doch im Moment regnete es nicht. Er hatte kaum ein Auge zugemacht und fühlte sich wie gerädert, aber er wagte nicht, länger zu rasten. Wer wusste denn, ob sie nicht doch noch hier nach ihm suchen würden? Ob sie, die zornig geifernden Gestalten, nicht Yanko so lange verprügelten, bis er ihnen alles verriet?
Die Bäume standen nicht nur am Flussufer, sie erstreckten sich weit in die Ebene zwischen Sippa und Dherrn hinein. Ben entfernte sich ein Stück vom Ufer, doch ein Ende der Bäume war nicht in Sicht. Es war ein dichter Wald, der seine Flucht deckte, und Ben fühlte sich immer sicherer. Noch jubelte er nicht, aber er glaubte nun wirklich, er könne es schaffen.
Er kehrte an den Sippa zurück, dort hatte er immer Wasser, und folgte seinem Lauf nach Süden. Seine Gedanken kreisten nun nicht mehr ausschließlich um den Mord an dem Drachenritter und die rachedurstigen Verfolger, sondern auch immer wieder um Nica. Hielt sie ihn auch für den Täter?
Wahrscheinlich. In seinen Tagträumen kehrte er nach Trollfurt zurück und überzeugte sie von seiner Unschuld.
Es begann wieder zu regnen.
Auch wenn die Angst vor Verfolgern ihn nicht mehr beherrschte, verfiel er doch immer wieder in einen Trab, um möglichst schnell mehr Abstand zwischen Trollfurt und sich zu bringen, man wusste ja nie. Er passierte einen weiteren Wasserfall, der nicht hoch war, aber den Anfang von sich überschlagenden Stromschnellen bildete, die nun neben ihm nach Süden rauschten. Und auf ihnen tanzte ein dicker schwarzer Stamm, der ihn aus dunklen Astlöchern wie Augen anzustarren schien.
»Ha, du bist nicht schneller als ich«, murmelte Ben ihm zu und lieflos. Er wusste selbst nicht, weshalb er das tat, vielleicht wollte er einfach nur gegen etwas anrennen, das nicht unsichtbar war wie seine Verfolger. Äste und Unterholz drückte er mit ausgestreckten Armen zur Seite, während er sich zwischen den Baumstämmen hindurchschlängelte. Durch das Laub sah er den Stamm langsam an sich vorbeiziehen. Das durfte nicht sein, er hatte das Wettrennen begonnen, jetzt würde er es auch gewinnen. Ben beschleunigte, rannte, so schnell er konnte, und holte auf, kam Schritt für Schritt dem Stamm näher, der zwischen schäumenden Wellen und runden Felsen hin und her geworfen wurde. Ben hörte nichts außer dem Rauschen des Sippa und dem Schlagen der Äste, die hinter ihm zurückfederten, seine hämmernden Schritte und das wilde Atmen. Voran, voran.
Da stolperte er plötzlich aus dichtem Unterholz auf eine Lichtung.
Und los, dachte er und wollte die freie Fläche für einen Zwischenspurt nutzen, jetzt lass ich dich weit zurück, du pummliger
Stamm. Er stürmte los und erkannte zu spät, dass die Fläche gar nicht so frei war, wie er angenommen hatte.
Im Zentrum der Lichtung stand ein sauber entrindeter Holzpfahl von vielleicht drei Schritt Höhe, und vor dem Pfahl kauerte ein großer geflügelter Drache mit blauen Schuppen.
»Heilige...«, setzte Ben einen Fluch an und bremste sofort seinen Lauf. Doch das Gras war feucht, und so schlitterte er erst einmal weiter, stolperte und rutschte ungebremst auf den Drachen zu.
Dabei nahm er mehrere Dinge wahr. Unweit des Pfahls lag ein blutüberströmter Drachenritter mit vollkommen verrenkten Gliedern auf dem Boden. Der Drache war ebenfalls voller Blut, und er war eigentlich nicht geflügelt, oder zumindest nicht vollständig. Er besaß nur noch seinen linken Flügel, der andere lag neben dem Ritter im Gras. Mit einer großen gelben Zunge leckte der Drache über seinen blutenden Schulterknubbel, als Ben auf ihn zuschlitterte. Von der Jungfrau, die an den Pfahl gefesselt gewesen sein musste, fehlte jede Spur. Wahrscheinlich hatte der Drache sie schon längst gefressen! Er war ein gutes Stück größer als Feuerschuppe.
Der Drache blickte genau in Bens Richtung, und große, blau lodernde Augen voller Zorn fixierten Ben. Er stürzte endgültig und rutschte auf dem Bauch weiter. Direkt vor der Klaue des Drachen kam er zum Liegen. Er würde also doch als Jungfrau enden...
»Bitte! Tu mir nichts!«, brachte Ben noch heraus und hielt sich die Arme schützend vor den Kopf. Das tat er instinktiv, nicht, weil es etwas nutzen würde; der Drache könnte ihm leicht Kopf und Arme zusammen mit einem Bissen vom Rumpf reißen.
»Na gut«, brummte der Drache mit schleppender Stimme,
so als wäre er gar nicht richtig wach. »Das hatte ich eigentlich
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