Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
falsch, es passte nicht zu all den Sagen, die er von Priester Habemaas vor dem Tempel gehört hatte. Es passte auch nicht zu dem, was der Drachenritter erzählt hatte, nicht zu dem, was alle Leute in Trollfurt sagten. Aber irgendetwas in ihm wollte Aiphyron glauben.
»Hör mir mal zu, Ben. Die Jungfrau hier war genauso seltsam wie die anderen beiden. Kaum war sie losgeschnitten, ist sie davongestürmt und hat gebrüllt, ich hätte ihn getötet. Ich bin sicher, sie holt irgendwo Hilfe, und dann kommen sie in einer großen Gruppe, um mir den Garaus zu machen. Mit einem Flügel allein kann ich nicht davonfliegen. Und ich habe keine Lust zu kämpfen, ich will diese ganzen Leute nicht töten,
und ich will dich nicht mit reinziehen, aber ich würde gern noch eine Weile mit dir plaudern. Was hältst du davon, wenn du mir auf der Flucht ein wenig Gesellschaft leistest?«
Ben nickte, ohne nachzudenken. Das klang gut. Er wurde ja auch verfolgt, aber mit einem Drachen an seiner Seite fühlte er sich sicherer. Stärker. Das Problem war nur: Es war ein Leichtes, Aiphyrons Fährte zu folgen, wenn sie gemeinsam durchs Unterholz tapsten. Fliegen funktionierte mit nur einem Flügel auch nicht, also gab es nur eine Möglichkeit, von hier zu verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. »Kannst du schwimmen?«
»Schwimmen? Natürlich kann ich schwimmen.«
Also beschlossen sie, dass sie fürs Erste im Fluss reisen wollten. Wenn die Jungfrau mit Verbündeten zurückkehrte und weder den Drachen noch irgendwelche Spuren vorfand, würden sie wohl davon ausgehen, dass der Drache seinen Flügel doch nicht verloren hatte und davongeflogen war.
»Das ist großartig! Toller Plan!«, sagte Aiphyron und klopfte Ben auf die Schulter, so dass dieser übers nasse Gras bis zum Rand der Lichtung schlitterte. Dann hob er seinen abgetrennten Flügel auf und schleuderte ihn über die Bäume hinweg in den Sippa. Den durften ihre Verfolger nicht finden.
»Jetzt gilt’s«, grinste Aiphyron das gleiche merkwürdige Drachengrinsen, das Ben auch schon bei Feuerschuppe gesehen hatte, und seine Augen leuchteten. Der Drache durfte nicht einfach zum Fluss waten, wenn sie die Jungfrau in die Irre führen wollten. Also nahm er die gesamte Lichtung als Anlauffläche, rannte los und sprang dann vor den ersten Bäumen hoch. Trotz seine Größe und Masse war es ein anmutiger Anblick, die Bewegungen geschmeidig wie die eines Felsenwolfs. Ben sah ihm bewundernd zu.
Aiphyron legte sich schräg in den Wind, die rechte Flanke nach oben, und dann schlug er überhaupt nicht mehr elegant, sondern ganz hektisch mit dem linken Flügel. Mühsam streif te er mit der Flügelspitze an den Wipfeln entlang und ruderte verzweifelt mit dem Schwanz, um das Gleichgewicht zu halten. Dabei drehte sich sein Körper, er bekam Schlagseite wie ein heftig getroffenes Segelschiff und stürzte über die Bäume hinweg, brach durch die Äste am Ufer und klatschte schließlich in den Sippa. Das Wasser spritzte bis zu den Wipfeln.
Aiphyron ließ sich mit der Strömung treiben, und Ben folgte ihm am Ufer. Wegen der verdammten Stromschnellen musste er rennen.
»Spring doch einfach bei mir auf«, sagte Aiphyron und paddelte Richtung Ufer.
Ben ließ sich das nicht zweimal sagen. Er kletterte auf den Rücken des Drachen, und gemeinsam folgten sie dem Flusslauf.
VIER HOLZFÄLLER UND KEIN FEUERVOGEL
B en saß bequem auf Aiphyrons Hals, einen halben Schritt vor Flügel und Schulterknubbel. Seine Hose hatte er hochgekrempelt, die nackten Unterschenkel hingen ins Wasser, während der Drache den Sippa hinunterpaddelte. Die Wolken hatten sich im Laufe des Tages verzogen, und die Sonne brannte wieder auf sie herab. Ein wenig Kühlung an den Füßen tat gut. Ab und zu griff Ben hinter sich und berührte, scheinbar zufällig, den Knubbel. Die Wunde hatte sich inzwischen geschlossen. Auf der Flucht konnten sie Glück gebrauchen. Und etwas in ihm drängte ihn einfach, den Knubbel zu berühren.
Noch immer konnte er nicht fassen, nun tatsächlich auf einem Drachen zu sitzen. Alles war in den letzten Tagen durcheinandergegangen, er schien alles verloren zu haben, und nun war er hier. Anders als erträumt, anders als in den Mythen erzählt, doch er ritt tatsächlich auf einem Drachen.
Aiphyron hatte seit seinem Sprung ins Wasser nicht viel gesagt, er brütete vor sich hin. Fast lethargisch wirkte er, gar nicht wild und fluchbeladen. Trotz des Schweigens und des noch vorhandenen Flügels fühlte sich Ben immer
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