Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
erkennbaren Dingen, vielleicht auch Tieren und Pflanzen, lagen verstreut herum, eine Brise wirbelte die Asche hin und her. Weißer Staub, der die Sicht behinderte wie Nebel und mir Augen, Nüstern und Maul verklebte. Ich bin in irgendeine Richtung losgetappst, und als ich die Flügel ausbreiten konnte, habe ich mich in die Luft erhoben. Das war weit im Westen von hier, noch über dem Meer. Ich weiß nicht, aus was ich geschlüpft bin, ich weiß nur, dass es kurz vor meiner Geburt vom Feuer gefressen wurde, die Flammen haben mich
zu früh herausgebrannt. Nur weiß ich nicht, woraus. Ich habe die wirkliche Farbe meiner Schuppen erst gesehen, als ich im Regen geflogen bin und die Tropfen das stumpfe Grau der Asche herausgewaschen hatten. Davor wusste ich nicht, wie blau meine Schuppen sind.«
»So blau wie der Himmel«, sagte Ben, weil Aiphyron wieder schwieg.
»Ja, wie der Himmel. Doch haben sie seine Farbe, weil ich unter freiem Himmel die Augen aufschlug, oder stammt die Farbe von etwas anderem?« Jetzt sah der Drache Ben an. »Weißt du, unsere Schuppenfarbe hat mit unserer Herkunft zu tun. Ich mag Bäume, mag den Wald, vielleicht bin ich im Stamm eines Baums herangewachsen, doch welcher Baum hat schon eine blaue Rinde?«
»Mit bläulicher Rinde gibt es schon ein paar.«
»Das stimmt. Vielleicht ist ihre Färbung auch eine Mischung aus der Rinde, der Asche und dem Himmel. Wer weiß das schon?«
»Aber nicht alle Drachen wachsen in Bäumen?«, vergewisserte sich Ben.
»Nein. Ein jeder wächst da, wo es seine Bestimmung ist. In Bäumen, im Boden, selbst in einem ewig vereisten Teich hoch im Gebirge wuchs schon einer von uns heran. Seine Schuppen sind seltsam milchig-durchsichtig und glitzern hell in der Sonne. Ferner kenne ich einen, der stammt aus der Mauer einer lange verlassenen Ruine. Er ist aus dem unbehauenen Grundstein geschlüpft und nicht viel größer als meine Klaue. Ein kleiner grauer Bursche, auf den man sich verlassen kann.«
»Und was ist mit den Wolken? Können Drachen auch in Wolken wachsen? Das würde doch passen, wenn ihr das Fliegen so liebt.«
»Nein«, lachte Aiphyron. »Nein. Wir wachsen langsam, manche von uns sehr, sehr langsam. Die Wolke hätte sich längst leer geregnet, bevor sich ein einziger Knochen gebildet hätte. Aber wer weiß, vielleicht gibt es irgendwo einen wolkengeborenen Drachen, ich habe nur noch nie davon gehört. Und das Fliegen lieben wir vielleicht gerade deshalb, weil wir nicht in der Höhe geboren werden. Weil wir damit unsere Herkunft und alles hinter uns lassen können. Und weil es einfach unvergleichlich schön ist.«
Ben sah plötzlich eine Welt vor sich, in der überall Drachen wuchsen. Irgendwo verborgen, wo es kein Mensch erwartete. Vielleicht saß er in diesem Moment gerade auf einem herum. Es war wie mit der Magie, die auch überall in der Welt verteilt war und sich schließlich irgendwie eine Form gab. Er dachte an die Holzfäller zurück und fragte Aiphyron, was passieren würde, wenn jemand einen Bäum fällt, in dem ein Drache heranwuchs.
»Dann hört er auf zu wachsen und wird nie lebendig. Doch das ist selten. Wer einen solchen Baum sieht, findet ihn schön und lebendig, er will ihn nicht umhacken. Er wird erst alle anderen Bäume um den herum fällen, bevor er Hand an diesen einen legt. Das ist eine Art Zauber, der uns schützt. Ich weiß nur von einem einzigen Herrscher im fernen Südosten, der wollte einst ein Verlies in einem Tal errichten, das einen wachsenden Drachen beherbergte. Seine Berater, die ihm sonst nie widersprachen, schlugen ihm andere Orte vor, das Tal sei zu schön und friedlich, doch der Herrscher war ihren Vorschlägen gegenüber so unempfänglich wie dem Zauber der Schönheit und beharrte auf seiner Wahl. Eben weil es so friedlich sei, würden die unterirdischen Kerker dort viel furchteinflößender wirken, und mehr Furcht unter den
Bauern hieße mehr Macht und Ehrfurcht für ihn. Also ließ er seine Untergebenen graben. Diese schimpften und fluchten vor sich hin, sie fühlten, dass sie das Falsche taten. Doch Peitsche und Furcht vor dem neuen Verlies ließen sie knirschend gehorchen - bis sie auf riesige Knochen in der Erde stießen. Ein Drache mit gut zwanzig Schritt Körperlänge wuchs dort heran. Noch hatte sich kein Fleisch auf den Knochen gebildet, keine Schuppen. Das schlechte Gefühl der Untergebenen wuchs, sie hielten die Knochen für ein schlimmes Omen und eine letzte Warnung. Mit einem Mal verwandelte sich ihre
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