Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
die anderen Götter, der mit zahlreichen bunt glitzernden Tüchern geschmückt war. Hier und da schnappte er Gesprächsfetzen auf. Immer wieder war von einer Zeremonie die Rede, und auch von einer Hinrichtung.
»Dein Herr hat wirklich großes Glück«, sagte unweit des Tempels eine in staubiges Weiß gekleidete Frau mit einem Wasserkrug auf dem Kopf. Sie sprach zu einer jungen Frau mit sorgsam hochgestecktem schwarzem Haar, die ein eng geschnittenes, hellgrünes Livree mit glänzenden Messingknöpfen trug. Die goldenen Zierkordeln an den Schultern und das dezente Wappen auf der Brusttasche wiesen sie als eine angesehene Hausdienerin aus.
»Das ist kein Glück, er hat es verdient«, entgegnete die Hausdienerin in einem bestimmten Tonfall, der so gar nicht zu einer Dienerin passen wollte.
»So war es nicht gemeint«, ruderte die andere zurück. »Natürlich hat er den Drachen und seinen Titel verdient, das würde ich niemals anzweifeln. Und es wird bestimmt eine ganz wundervolle Zeremonie.«
Ben verharrte und lauschte. Auch wenn der Herr dieser herrischen Hausdienerin kein Glück hatte, Ben fand seines außerordentlich. Er wusste zwar nicht genau, was es mit dem Drachen und dieser Zeremonie auf sich hatte, doch schien er genau zum richtigen Zeitpunkt hergekommen zu sein. Vielleicht brachte das Rubbeln der Schulterknubbel eben doch
Glück, und niemand dürfte jemals mehr gerubbelt haben als er in den letzten Wochen.
»Das wird es ganz bestimmt. Nicht jede Erhebung in den Stand eines Drachenreiters kann mit der Hinrichtung eines Drachenketzers aufwarten.« Stolz lächelte die Hausdienerin, und die andere Frau stimmte ihr beflissen zu.
Ben war nicht sicher, ob sie wirklich Hinrichtung gesagt hatte. Vielleicht war es auch eine Herrichtung gewesen oder eine Hindichtung, wobei er in beiden Fällen nicht wusste, was das sein sollte.
Schließlich verabschiedete sich die Hausdienerin, und Ben folgte ihr. Nach ein paar Schritten fasste er sich jedoch ein Herz und sprach sie an. So würde er bestimmt mehr herausfinden als durch bloßes Hinterherrennen.
»Entschuldigung«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln. »Zufällig habe ich euer Gespräch mit angehört, und ich bin fremd in dieser schönen Stadt und leider sehr unwissend. Ich habe auch nur die Worte wundervolle Zeremonie gehört und mich gefragt, ob ich mir diese vielleicht ansehen könnte? Wenn es denn gestattet ist.«
Die Hausdienerin maß Ben mit abschätzigem Blick, eine Augenbraue hochgezogen. Obwohl sie einen halben Kopf kleiner war als er, kam es ihm vor, als sähe sie ihn von oben herab an. Dachte man sich ihren verkniffenen Mundwinkel zu einem Lächeln, war sie sogar hübsch, vielleicht sogar sehr hübsch. Auch schien sie nicht viel älter als er, vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Es dauerte, bis sie etwas sagte, und Ben war sicher, sie würde ihn nach dieser Musterung einfach wortlos stehen lassen, doch er irrte sich.
»Natürlich kannst du. Jeder kann. Sie findet am Mittag auf dem Marktplatz statt.«
»Und wo finde ich den Marktplatz?«
»Du bist wirklich fremd, was?« War das etwa der Anflug eines Lächelns?
»Vor wenigen Minuten erst zum Stadttor herein.«
»Und was machst du hier?«
»Ich sehe mich erst einmal um«, erklärte Ben nach kurzem Zögern, so als hätte er alle Zeit und alles Geld der Welt. Vor ihr wollte er sich nicht als Stallbursche auf Arbeitssuche bezeichnen. Sie sah ihn schon hochnäsig genug an. Sollte sie ihn doch für einen geheimnisvollen Reisenden von weit her halten.
»Dann ist die Zeremonie sicher das Richtige.« Sie zeigte ihm den Weg zum Marktplatz und ging dann ihres Wegs; sie müsse noch vieles erledigen und vorbereiten. Sie hielt ihn wohl nicht für einen mysteriösen Abenteurer, sondern für einen Bauernburschen oder Halunken aus dem nächsten Dorf. Besah man sich sein Hemd und seine Hose, war das auch die naheliegendste Vermutung.
Ben konnte trotzdem nicht anders, er rief ihr nach: »Vielleicht sehen wir uns ja da.«
Natürlich drehte sie sich nicht um. Sie hob nicht einmal den Kopf in noch arrogantere Höhen, sie schritt einfach die Straße hinab.
»Rüschennasige Rinnsteinschnepfe«, brummte Ben und schlenderte in Richtung Marktplatz. Dabei wandte er sich zweimal nach ihr um, ob sie sich nicht doch einmal umschaute. Tat sie aber nicht.
Wehmütig dachte Ben an Nica. Inzwischen würde er es wagen, sie anzusprechen, da war er ganz sicher. Er fluchte, dass er vor wenigen Wochen noch zu feige
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