Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
die bis vor die Stadtmauern gestanden haben mochten, waren gerodet worden, Felder erstreckten sich in alle Richtungen, mal mehr, mal weniger weit. Im Südosten begann das Waldgebiet bereits wieder nach gerade einmal gut zwei Meilen, dort wuchsen hohe alte Bäumen. Zwei oder drei Meilen tief drinnen erhob sich ein dicht bewachsener Hügel, auf dem eine längst verfallene und großteils überwucherte Ruine stand. Der Größe nach musste es sich um einen wehrhaften Tempel oder eine Burg gehandelt haben, vielleicht auch ein Kloster, auf jeden Fall mehr als die Hütte eines Jägers oder Fallenstellers. Zwischen den Überresten der Mauern landete Aiphyron.
Sie sahen sich um, konnten jedoch keine Spuren von Menschen entdecken. Dort, wo einst das Tor gewesen war, erkannte
Ben den Ansatz eines Wegs, doch längst hatten sich Bäume und Sträucher auf ihm festgesetzt. Seit bestimmt hundert Jahren war hier kein Karren mehr hochgezogen worden, vielleicht länger. Vom Brunnen war nichts mehr übrig, doch in einer steinernen Wanne, die möglicherweise Teil eines Kamins gewesen war, hatte sich Regenwasser gesammelt - brackig und trübe, doch es löschte den Durst. Die Ruine war ein gutes Versteck, hier konnte Aiphyron warten, während sich Ben am nächsten Tag in der Stadt umhören würde, ob es Drachen gab, die sie befreien konnten.
»Wie willst du das rausfinden?«, wollte Aiphyron wissen. »So kannst du die Frage nicht stellen.«
»Ich tu so, als wäre ich älter, schon siebzehn und erwachsen, und sage einfach, ich suche Arbeit als Stallbursche und kann gut mit Drachen umgehen. Wenn ich damit nicht weiterkomme, lasse ich mir einfach irgendetwas anderes einfallen.«
Doch zuerst legte sich Ben ein paar Stunden aufs Ohr, denn er war hundemüde, und als arbeitssuchender Stallbursche war es weniger auffällig, wenn er nicht mitten in der Nacht an das verschlossene Stadttor pochte, um dann in den Straßen und auf den Plätzen herumzulungern; Geld für ein Gasthaus hatte er keines.
Die Stadt war von einer ungewöhnlichen Mauer umgeben, bemerkte Ben, als er sich ihr am nächsten Morgen näherte. Die Mauer und das turmhohe Stadttor waren aus unterschiedlichen Steinen gebaut, alle Farben saßen als Vierecke nebeneinander, ohne ein regelmäßiges Muster oder gar ein Bild zu ergeben. Im Licht der aufgehenden Sonne schimmerte jeder Mauerstein hell, als wäre er glatt geschliffen und würde jeden Tag vom Dreck gereinigt.
Die Stadt hieß Falcenzca, das erfuhr Ben schon auf dem Weg dorthin, denn er war nicht der Einzige auf der Straße. Aus den umliegenden Dörfern kamen ein paar Bauern, um ihre Ware zu verkaufen, und auch einen fahrenden Händler mit seinem voll bepackten Pferdewagen überholte Ben. So fiel er als Fremder nicht auf, die Torwächter beachteten ihn nicht und ließen ihn mit einem kaum merklichen Nicken passieren. Sie trugen gelb-grün-orangene Waffenröcke und passten somit bestens zur bunten Mauer.
Auch innen war Falcenzca ganz anders als Trollfurt, alles kam Ben hier schneller und hektischer vor. Die Leute liefen schneller und redeten schneller, rannten ihn beinahe über den Haufen und entschuldigten sich sogar schneller, als Ben sich beschweren konnte.
Er kam an einer Schmiede vorbei und hatte das Gefühl, als schlage der Schmied auch schneller auf den Amboss ein als Yankos Vater. Dabei war Yankos Vater kein zögerlicher Mann, er hatte stets das schnelle Handeln und auch Schlagen gepredigt, dies zu Trollfurter Tugenden erklärt und sonst nie viel gesagt.
Auch waren die Straßen Falcenzcas voller und die Häuser aus den unterschiedlichen Steinen erbaut, die schon in der Stadtmauer Verwendung gefunden hatten. Zwar waren sie nur selten derart bunt zusammengewürfelt, doch sah er gelbe und rote und weiße und blaue Wände, schwarze und rote und grüne Dächer. Die Leute auf den Straßen sprachen lauter und selbstverständlich schneller, und aus den Rinnsteinen und bretterverdeckten Kanälen stank es stärker, zumindest kam es ihm nach der Zeit im Wald so vor.
Ben folgte mal diesem, mal jenem Menschen, er hängte sich jenen an die Fersen, die wohlhabend aussahen, und denen, die
wie Diener wirkten; so wollte er die Häuser der Reichen finden, weil nur sie im Besitz eines Drachen sein konnten. Doch keiner, dem er nachging, schien auf dem Heimweg zu sein. Ben fand den Weg zum Metzger und zum Bäcker, zu einer Weinstube, die recht gefüllt schien, obwohl es noch Vormittag war, und zum weitläufigen, offenen Tempel für
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