Der Drachenflüsterer - Der Drachenflüsterer
verharrte am Fuße des Podests. Unter ihnen erkannte Ben die hochnäsige Hausdienerin, auch wenn sie ihr Haar nun zu einem hohen langen Zopf mit glitzernden Zierbändern geflochten hatte und ein anderes Livree aus schimmerndem Stoff und überladen mit goldenen Knöpfen und Borten trug.
Doch die Augen der Menge richteten sich auf die rechte Seite des Podests. Dort wurde von einem gerüsteten Drachenritter ein flügelloser Drache auf die Bühne geleitet. Der Ritter war eine mächtige Erscheinung, sicherlich noch größer als Ritter Narfried, und sein knielanges Kettenhemd war so
glänzend poliert, dass man meinen konnte, die Ringe wären aus feinstem Silber. Vielleicht waren sie das ja auch, Ben kümmerte es nicht.
Er konnte den Blick nicht von dem Drachen lassen, dessen Schuppen grün waren und bei jeder Bewegung den Anschein zitternder Grashalme im Wind vermittelten. Der Drache war nur etwa halb so lang wie Aiphyron, jedoch auch kompakter. Er besaß kräftige Beine, einen sehr kurzen Schwanz und einen kurzen Hals, dafür jedoch ein langes Maul mit kräftigem Kiefer und schmalen, spitzen Zähnen. Auf dem breiten Rücken verliefen zwei parallele Reihen gelbgrüner Zacken.
Die Schulterknubbel des Drachen waren so klein, dass Ben sie beinahe nicht erkennen konnte.
Die Musik verklang mit einem letzten tiefen Trommelwirbel, und die Menge verstummte fast augenblicklich. Nicht das geringste Gemurmel war mehr zu hören, doch von hinten drängten die Leute neugierig nach vorn, und so wurde Ben immer wieder in den Rücken gestoßen und Richtung Podest geschoben.
»Liebe Bürger Falcenzcas und Gäste von nah und fern«, hob der Priester mit tiefer, weit tragender Stimme an. »Wir sind heute in Hellwahs Namen zusammengekommen, um gemeinsam zu bezeugen, wie der hoch geschätzte Kaufmann Dicime in den Stand eines Drachenreiters aufgenommen wird. Wegen seiner außerordentlichen Verdienste um unsere Stadt und seiner Großzügigkeit den hiesigen Menschen gegenüber, wegen seiner heroischen und patriotischen Einsätze im Wettlauf um die Gewürzinseln und seiner Treue gegenüber Hellwah, wird ihm nun der befreite Drache Schilfrücken zugeführt.«
Tief und würdevoll verbeugte sich der Kaufmann vor dem Priester und hob dann wieder den Kopf. Der Ritter führte
den Drachen an Dicimas Seite, und auch der Drache beugte sein Haupt; zudem knickte er die Vorderbeine ein, so dass es wirkte, als kniete er nieder.
»Herr Dicime, ich frage dich, willst du fortan für diesen Drachen sorgen, für ihn da sein in allen Zeiten und mit ihm streiten für Hellwahs Ehre und wider den bösen Samoth und all seine Diener?«
»Ja, ich will.« Die Stimme des Kaufmanns klang unerwartet hoch.
»Und dich, Ritter Buchenbrandt, frage ich: Willst du den von dir befreiten Drachen Schilfrücken in Herrn Dicimes Obhut übergeben?«
»Ja, ich will.«
»Und ich frage dich ferner: Will Schilfrücken ihm dienen, wie es sich für einen guten Drachen gehört, ihm zur Seite stehen wie ein guter Freund, selbst wenn die Zeiten stürmisch und karg werden sollten, was Hellwah verhüten möge?«
»Ja, er will«, sagte der Ritter, und der Drache beugte erneut sein Haupt.
Die Leute um Ben her murmelten und reckten die Köpfe, doch vorsichtig, keiner wollte den nahenden Höhepunkt der Zeremonie stören.
»Ich sehe die glatten Schulterknubbel und sehe, dass Samoths Fluch von diesem Drachen gewichen ist«, fuhr der Priester mit den rituellen Worten fort. »Und somit vertraue ich ihn nun mit Hellwahs Segen deiner Obhut an, Herr Dicime.«
»Habt Dank für Eure Güte, ich werde Hellwah und Schilf rücken nicht enttäuschen«, gab der Kaufmann die erforderliche Antwort.
»Dann nehmt hin diese Halsbänder aus Stahl und Edelstein. Sie sollen das Symbol eures unzerbrechlichen Bundes sein«,
intonierte der Priester und legte Dicime und Schilfrücken je ein Halsband um. »Tragt es drei Tage und drei Nächte. Am Mittag des dritten Tages nimm beide Halsbänder ab, Drachenreiter Dicime, und verwahre sie gut. Von da an sollt ihr ohne sichtbare Fessel aneinander gebunden sein bis in den Tod.«
»So sei es«, sagte der Kaufmann, der nun ein Drachenreiter war, mit ergriffener Stimme.
»Nun, geh mit ihm, du gehst mit meinem Segen und dem des ganzen Ordens«, fügte der Drachenritter hinzu.
Sodann verstreuten der Priester, Ritter Buchenbrandt und der frisch gebackene Drachenreiter die Asche von Schilfrückens Flügeln in alle Winde, die jedoch nur schwach wehten. Dazu erklangen die
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