Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Viehpferchen, die sie umgaben.
In einem abgelegenen Teil der Stallungen bog der Junge um die Ecke. Anstatt blind weiterzulaufen, kauerte er sich in die dunklen Schatten. Als der Reiter wenig später an ihm vorbeirannte, ließ der Junge ihn passieren und schlich sich von hinten an ihn heran.
Im Bruchteil einer Sekunde war alles vorüber. Die Schritte des Mannes wurden zögerlich, während er sich verunsichert fragte, welchen Weg er einschlagen sollte. Eine Klinge, geschwärzt, um das Sonnenlicht nicht zu reflektieren, schoss aus dem Ärmel des Jungen und landete in einer einzigen geschmeidigen Bewegung in der Seite des Reiters. Der Junge rannte bereits wieder los, bevor der Mann überhaupt bemerkte, dass er niedergestochen worden war.
Der Reiter stürzte dem Jungen nach, machte ein paar Schritte. Seine Hand glitt an seiner Seite herab, und dann blieb er stehen. Er blickte auf seine Hand und das Blut, das aus ihm herausströmte. Innerlich brannte plötzlich alles. Er brachte keinen Laut über die Lippen. Der Schmerz wurde qualvoller, breitete sich unaufhaltsam von seinem Herzen über die Fingerspitzen bis zu den Zehen aus, und immer noch konnte der Mann nicht sprechen, konnte sich nicht bewegen, konnte nicht einmal schreien. Als der Schmerz seinen Kopf erreichte, wurde zum Glück erst alles weiß und dann dunkel.
Der Junge ließ das Messer fallen und schob es mit dem Fuß beiseite. Vorsichtshalber schlängelte er sich im Zickzackkurs durch das Labyrinth aus hölzernen Pferchen, doch kein Schrei ertönte hinter ihm. Er begann schneller zu laufen. Er hatte den Ort sehr sorgfältig ausgewählt, um den Ritter zu töten, aber nun arbeitete die Zeit gegen ihn. Er rannte zum Ende der Stallungen, wo ein weiterer Reiter, von Kopf bis Fuß in Drachenschuppen gekleidet, mit zwei Pferden auf ihn wartete. Als Reiter Semian den Jungen sah, nickte er und kletterte in den Sattel.
»Ist alles nach Plan verlaufen?«
Der Junge nickte kurz und bestieg das zweite Pferd.
»Was ist mit dem anderen?«
»Den konnte ich erkennen. Einer von Jehals Männern.« Der Junge riss sich den Umhang von den Schultern. Als er den Hut absetzte, kam langes dunkles Haar zum Vorschein. Er wischte sich den Schmutz vom Gesicht und war auf einmal gar kein Junge mehr, sondern Lady Nastria, Feldmarschall der Königin des Nordens. »Na los! Wir müssen uns beeilen.«
Nastria wendete ihr Pferd und trieb es über die schlammigen Pfade zwischen den Pferchen, um den gleichen Weg zurückzureiten, den sie gekommen war. Als sie sich dem toten Drachenritter näherten, sprangen zwei alte Frauen auf und stoben davon. Sie hatten gerade einmal genügend Zeit gehabt, um die Geldbörse des toten Mannes zu stehlen, und Nastria gönnte ihnen diesen kleinen Zuverdienst. Die beiden stiegen ab und warfen den Leichnam über den Rücken von Nastrias Pferd. Gemeinsam galoppierten sie in Richtung des Adamantpalasts und der Stadt der Drachen. Kurz bevor sie in Sichtweite kamen, stieg Nastria erneut ab, warf ihren dreckigen Umhang über, setzte den Hut auf und führte beide Pferde zu den Palasttoren.
»Reiter Semian, im Dienste von Königin Shezira«, erklärte der Ritter. Die Palastwachen beäugten ihn eingehend, besahen sich dann den Leichnam auf dem anderen Pferd, nickten und gewährten ihm Einlass. Nastria starrte die ganze Zeit über auf ihre Stiefel. Die Wachen bemerkten sie kaum.
Sie bahnten sich einen Weg zum Turm der Abenddämmerung in der Westmauer des Palasts. Viele Türme waren über den gesamten Palastbereich verteilt, und jeder war für die Zeit der Wahl des neuen Sprechers einem anderen Drachenkönig oder einer Drachenkönigin zugewiesen worden. Königin Zafir wohnte im Turm der Lüfte. König Valgar war im Turm der Morgendämmerung an der Ostmauer untergebracht. König Tyan war im kleinsten einquartiert worden, dem Turm der Demut. Die Könige Narghon und Silvallan bewohnten den Turm des Wassers und den Stadtturm im nördlichen Teil des Palasts. Der Turm der Abenddämmerung war für Königin Shezira reserviert. Nastria führte die Pferde direkt zu den Toren des Turms. Reiter Semian öffnete sie, und sie huschten hinein, den Leichnam des toten Ritters hinter sich herziehend.
Im Innern warteten bereits mehrere von Königin Sheziras Reitern auf sie. Sobald sich die Tore hinter ihnen schlossen, entledigte sich Nastria ihrer Verkleidung und zeigte auf den Leichnam. »Bringt den hier runter in den Keller. Wo ist die Königin?«
»Die Königin ist beim Sprecher.«
Die
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