Der Drachenthron: Roman (German Edition)
halb verbrannten Leichen der Kutscher heraus, die einfachen Arbeiter, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Sie besah sich jeden von ihnen mit einem raschen Blick und schleuderte sie dann hoch in die Luft.
Tot.
Als die leblosen Körper wieder herabstürzten, fing Schneeflocke sie mit dem Maul auf und schluckte sie in einem Stück hinunter.
Tot.
Nadira taumelte aus dem Ginsterbusch zum Pfad zurück. Ihre Hände waren blutverschmiert, ihr Gesicht eine Maske aus Euphorie und Entsetzen. Sie kam auf Kemir zu. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
Tot.
»Ich habe jemanden getötet!« Sie klang erstaunt. »Nie zuvor habe ich jemanden getötet, aber ich habe es getan. Ich habe seinen Kopf mit einem Stein zertrümmert.«
Tot.
Der Blutrausch hatte sich noch nicht verflüchtigt, er war immer noch stark, jedoch nicht mehr so beherrschend. Kemir packte sie an den Händen. »Weißt du, wer diese Soldaten waren?« Sie schüttelte den Kopf. »Die Garde des Adamantpalasts. Die Männer des Sprechers. Die besten Soldaten aller Reiche – das jedenfalls wird ihnen nachgesagt. Sie werden ausgebildet, um gegen Drachen zu kämpfen.«
Tot.
Kemir besah sich das Gemetzel und musste lachen. So viel zum Thema unbesiegbare Garde! Aber was hatten sie sich auch dabei gedacht? Wie sollte ein Mensch einen Drachen besiegen können? Wie sollte selbst eine Armee von Menschen einen Drachen besiegen können?
Tot.
Er ließ Nadira zurück, um die Leichen nach allem zu durchsuchen, was sich zu stehlen gelohnt hätte, und besah sich die Waffe, mit der sie auf ihn gezielt hatten. Sie war zerschmettert, zertrümmert durch Schneeflockes Klauen, doch die Überreste zeigten ihm genug. Er hatte recht behalten – es war eine Armbrust, und zwar die größte, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Wahrscheinlich waren zwei Männer nötig, um sie zu tragen. Die Ladevorrichtung war bis zur Unkenntlichkeit zerstört, aber Kemir vermu – tete, dass sie mit einer Art Kurbel versehen war und drei oder vier Soldaten gleichzeitig benötigt wurden, um die Waffe zu bedienen. Widerwillig musste er den Soldaten Respekt zollen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie überhaupt schnell genug gewesen waren, um sie einzusetzen.
Am Leben! Kemir, da ist einer am Leben. Frag ihn! Er soll dir verraten, wo die Alchemisten stecken!
Ein Schrei hallte in den Bergen wider. Ein dunkler Schatten schoss vom Himmel herab. Kemir rutschte das Herz in die Hose.
Verdammt! Der Aschgraue.
47
Der Aschgraue
N achdem sich Kemir mit Schneeflocke auf die Suche nach den Alchemisten begeben hatte, musste er sich schon bald eingestehen, dass er im Grunde keineswegs genau wusste, wo sie lebten. Er wusste lediglich, dass sich die Blutmagier, die die Drachen als Erste unterworfen hatten, irgendwo im Norden des Weltenkamms niedergelassen hatten und dass die Alchemisten ihre Feste genau an diesem Ort erbaut hatten. Es war Kemir allerdings nie in den Sinn gekommen, wie riesig der Weltenkamm war. Sie hatten tagelang gesucht, aber die Berge zogen sich schier unendlich in alle Richtungen hin. Die Tage gingen in Wochen über, und alles, was sie fanden, waren trostlose, schneebedeckte Gipfel, üppig bewaldete Täler und – sobald sie in die Nähe der Reichsgrenzen kamen – ab und an Siedlungen der Outsider.
Du hast mich belogen. Du weißt gar nicht, wo die Alchemisten wohnen.
Kemir blieb nichts anderes übrig, als Schneeflocke in seine Gedankenwelt spähen zu lassen, damit sie sich selbst davon überzeugen konnte, dass er sie auf keinen Fall zum Narren hatte halten wollen und immer angenommen hatte, sein Wissen reichte aus. Manchmal, wenn sie wütend auf ihn war, war sie schrecklich Furcht erregend. Es war schwierig, mit einem Geschöpf zu leben, das ihn ohne Weiteres zermalmen konnte und über das er keinerlei Macht besaß.
Wegen deiner Alchemisten sind meine Artgenossen völlig hilflos , hatte sie geantwortet.
Kemir hatte mit seinen Waffen und dem Geld, das sie Königin Sheziras Rittern gestohlen hatten, einige der Outsider-Lager besucht. Im ersten Dorf hatten sie ihn verhalten willkommen geheißen und seine Geschenke gierig an sich gerissen, doch sie konnten ihm nichts über die Alchemisten sagen. Im zweiten hatten sie ihn gefangen genommen. Wahrscheinlich hätten sie ihn getötet, wäre ihm Schneeflocke nicht zu Hilfe geeilt. Sie hatte das gesamte Dorf zerstört und jeden umgebracht, der nicht schnell genug zwischen den Bäumen verschwunden war. Sie war erbarmungslos.
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