Der Drachenthron: Roman (German Edition)
haben.«
Dann werden wir uns dort noch einmal umschauen.
Kemir seufzte und stellte sich darauf ein, dass Schneeflocke auf der Stelle losfliegen würde, um die Alchemisten noch vor Sonnenuntergang aufzuspüren. Und wenn ihr das nicht gelänge, würde sie wütend werden und die Beherrschung verlieren, und er und Nadira würden sich zusammenkauern und zu allen möglichen Göttern beten, die einen rachsüchtigen Drachen im Zaum halten konnten, und er würde sich inbrünstig wünschen, dass Sollos bei ihm wäre, denn Sollos hatte sonderbarerweise immer gewusst, was zu tun war.
»Ich sollte weglaufen und dich einfach im Stich lassen«, murmelte er.
Ich würde dich nicht ziehen lassen, Kleiner Kemir. Noch nicht.
Aber Schneeflocke erhob sich nicht in die Lüfte, sondern ging vorsichtig zu dem anderen Drachen.
Verschwindet und versteckt euch eine Zeit lang im Wald. In dem dort brodelt ein unbändigerer Zorn als in mir.
Sie flogen weder an diesem Tag noch am nächsten oder übernächsten weiter. Stattdessen stellte Schneeflocke ihre Suche fürs Erste ein und blieb einen Monat bei dem dunklen Drachen. Manchmal würdigte sie Kemir tagelang keines Blickes. Sie ging allein auf die Jagd und brachte dem anderen Drachen Futter. Kemir jagte ebenfalls, wenn auch mit dem Bogen, und hielt sich und Nadira am Leben. Die Bergtäler waren kalt und nass und gefährlich. Gewöhnliche Menschen starben an einem Ort wie diesem, doch es gab Nahrung und Wasser in Hülle und Fülle, und wenn man wusste, wo man zu suchen hatte, sogar einen sicheren Unterschlupf.
Schließlich entschied Kemir, dass sie lange genug gewartet hatten. Er hatte Schneeflocke seit vier Tagen kaum mehr zu Gesicht bekommen, und die beiden Drachen flogen nun gemeinsam.
»Sie brauchen uns nicht mehr«, sagte er zu Nadira. »Sie haben uns vergessen. Und sobald sie sich an uns erinnern, werden sie uns fressen.«
Sie packten ihre spärlichen Habseligkeiten zusammen und machten sich nach Westen auf. Kemir wusste nicht, wo sie sich befanden, doch der Weltenkamm verlief von Norden nach Süden, also mussten sie zwangsläufig früher oder später in eines der Reiche gelangen, wenn sie sich immer nach Westen wandten.
Drei Tage später spürte Schneeflocke sie auf. Sie landete so nah wie möglich neben ihnen, während der andere Drache über ihren Köpfen kreiste.
Wir sind jetzt zu zweit . Sie schien nicht wütend zu sein, aber Kemir spürte, mit welch unerschütterlicher Überzeugung sie ihm diesen Gedanken präsentierte.
»Also bekommt jeder von uns einen von euch?« Er konnte sich einfach nicht zurückhalten.
Es gibt ein Geschirr für deinesgleichen. Es stört mich nicht, dass du es mir anlegst.
»Und was geschieht, falls ich mich weigern sollte, auf dir zu reiten?«
Dann wird der Aschgraue Feuer spucken und dich töten.
»Der Aschgraue?« Kemir hob den Kopf. Von hier unten sah der Kriegsdrache schwarz aus.
Der Aschgraue. Das ist der Name, den deine Artgenossen ihm gegeben haben, und nun, da er erwacht ist, hat er wie ich Rache geschworen. Also, Kleiner Kemir, wirst du mit uns kommen?
»Habe ich eine Wahl?«
Du hast immer die Wahl zu sterben.
Erschöpft kletterte Kemir die Strickleiter hinauf und setzte sich auf Schneeflockes Rücken. Es kostete ihn fast einen ganzen Tag, bis er den Sattel und das Zaumzeug des Aschgrauen so justiert hatte, dass es Schneeflocke gut passte und er nicht jedes Mal aus den Gurten flog, wenn sie sich in die Lüfte erhob. Erneut wandten sie sich nach Norden, und der Aschgraue flog andächtig neben ihnen her. Allein beim Gedanken an den schwarzen Drachen stellten sich Kemir die Nackenhaare auf. Schneeflockes Gleichgültigkeit war schwer genug zu ertragen – aber für den Aschgrauen existierten Kemir und Nadira überhaupt nicht. Wenn der Drache mit Schneeflocke kommunizierte, war seine Botschaft eindeutig: Männer und Frauen waren Nahrung, weiter nichts.
Sie setzten die Suche fort. Ein ereignisloser Tag reihte sich an den anderen, doch dann, mitten in der unberührten Wildnis, erspähte Schneeflocke eine Wagenkolonne, die einen versteckten Pfad entlangfuhr.
Zwischen den brennenden Trümmern stellte sich Schneeflocke auf die Hinterläufe. In den Vorderklauen hielt sie einen Menschen. Am Leben! Kemir, da ist einer am Leben. Frag ihn! Er soll dir verraten, wo die Alchemisten stecken!
»Dann setz ihn ab, bevor du ihn noch zerquetschst«, rief Kemir. Während er auf sie zuging, schoss der Aschgraue tief über den Pfad
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