Der Drachenthron: Roman (German Edition)
Wald. Sobald sie das Bewusstsein wiederzuerlangen schien, zerrte er mit aller Kraft an dem Seil, und sie stürzte. Auf dein Aussehen kommt es mir gewiss nicht an – nicht dass du jemals eine Schönheit gewesen wärst. Es reicht schon, wenn du noch ein Weilchen am Leben bleibst und laufen kannst.
Am Vortag war er schon einmal im Wäldchen gewesen, um zu überprüfen, wie lange der Fußmarsch dauerte. Unweit vom Ziel des Drachenrennens gab es eine seit Langem unbenutzte Schmiede. Mit einem Keller. Zu dem Zeitpunkt war sie ihm als der perfekte Ort erschienen. Da hatte der Weg vom Hinterhalt bis zur Schmiede aber auch nicht annähernd so lange gedauert.
Endlich, nachdem er die Frau eine halbe Ewigkeit hinter sich hergezerrt hatte, erreichte er die Hütte. Er schob die Frau über die Schwelle und warf sie die Kellertreppe hinab, bevor er die Tür hinter sich schloss. Dann erst zog er ihr den Sack vom Kopf und schüttete ihr einen Eimer Wasser ins Gesicht. Jehal lächelte und machte eine übertrieben höfliche Verbeugung.
»Lady Nastria. Königin Sheziras Feldmarschall. Wie schön, dass Ihr mir endlich einmal Gesellschaft leistet. Auch wenn ich gestehen muss, dass die Einladung ein wenig grob war.«
Sie sah ihn an. Ihre Lippe war aufgeplatzt, das Gesicht blutverschmiert und mit Schürfwunden übersät. Ein Auge war so geschwollen, dass sie es kaum öffnen konnte. Sie spuckte einen Zahn aus und machte den Mund auf.
»Schreit von mir aus, wenn Ihr wollt, aber niemand wird Euch hören. Das ist es doch, was Frauen letztlich tun, nicht wahr? Nach Hilfe rufen?«
Nastria schloss den Mund. »Verräter«, zischte sie undeutlich.
»Verräter? Ich? Weil ich Eurer Königin mein Wort gegeben und es dann gebrochen habe? So wie Hyram, nicht wahr?« Er lachte. »Verräter? Ihr kennt mich nicht, Feldmarschall. Überhaupt nicht. Nein, nein, das hier ist kein Verrat. Ich will lediglich ein Unrecht aus längst vergangenen Zeiten wiedergutmachen.« Seufzend schüttelte er den Kopf. »Ich habe Euch beobachtet. Wollt Ihr wissen, wie mir das gelungen ist?« Ohne eine Antwort abzuwarten, holte er die weiße Seide hervor und drückte sie ihr auf die Augen. »Seht! Seht genau hin! Ein kleines bisschen Zauberei, die mir jemand geschenkt hat. Und tut nicht so, als seid Ihr geschockt. Weiß Königin Shezira eigentlich von Eurem Blutmagier?« Er riss die Seide wieder weg. »Ihr wisst doch hoffentlich, dass ich Euch mein kleines Geheimnis nur gezeigt habe, weil Ihr den heutigen Tag nicht überleben werdet?«
Sie blickte ihn trotzig und gleichzeitig mürrisch an. »Was wollt Ihr, Jehal?«
»Trinkt.« Er reichte ihr einen Becher. »Wasser. Ich dachte, Ihr wärt womöglich ein wenig lädiert, sobald Ihr hier seid. Ihr habt vorhin einen meiner Reiter getötet.«
Nastria betrachtete den Becher und drehte den Kopf weg.
»Lady, wir beide wissen, dass gutes Gift teuer und lange nicht so einfach zu beschaffen ist, wie manch einer denken mag. Wenn ich Euch töte, wird es mit Stahl geschehen.« Er holte ein Schwert aus der Kellerecke und zog es aus der Scheide. »Das hier gehörte meinem Vater, als er es noch halten konnte.«
»Nur los! Benutzt es, Jehal. Euer Schicksal ist längst besiegelt, und Ihr könnt es nicht ändern.«
»Ich würde eher den Adamantpalast zerstören, als eine Künstlerin wie Euch zu ermorden. Aber da ich es mir nicht leisten kann, dass Ihr mir weiterhin wie eine Klette folgt … Ein weiblicher Feldmarschall. Ich habe mich oft gefragt, wie es für Euch sein mag, von Reitern umgeben zu sein, die alle so viel stärker sind als Ihr. In voller Rüstung könnt Ihr doch kaum aufstehen. Aber Ihr seid schnell, das muss man Euch lassen. Und Ihr könnt etwas, das sonst keinem anderen Reiter gelingt: Euch als Dienstbote verkleiden und unbemerkt durch den Palast schlüpfen. Manchmal seid Ihr Lady Nastria, der Feldmarschall. Manchmal seid Ihr ein Kammerpage, ein Küchenjunge, eine Magd. Ich bewundere Euch, wirklich. Wir beide sind uns sehr ähnlich.« Er lächelte. »Wenn man will, dass etwas anständig gemacht wird, muss man es selbst tun.«
»Wie lange?«
»Wie lange was?«
»Ihr und Zafir.«
Jehal lachte. »Schon sehr lange, Feldmarschall. Lange genug, sodass wir uns manchmal auf eine Art anschauen, wie es nur Verliebte tun, egal wie sehr wir es vermeiden wollen. Es freut mich, dass Ihr diejenige seid, die alles durchschaut hat. Wahrscheinlich habt Ihr bereits Hyram unterrichtet.«
Nastria zuckte mit den Schultern.
»Nun, ich würde
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