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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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mehr mit mir aushältst? Ich hatte mir ausgemalt, dass wir zusammen einkaufen gehen, ein Kaffeepäuschen machen, dann hierher zurückkommen, uns duschen und umziehen, ein Taxi rufen, was Schönes essen gehen und eine gute Flasche Wein dazu trinken. Die meisten Kinder wären dankbar. Auch wenn sie nur so tun als ob, sie würden mitmachen, um ihrer Mutter für ihre Zeit und Mühe zu danken. Insbesondere, wenn besagte Mutter den Tisch schon reserviert hätte.«
    Ich wusste, sie hatte Recht, doch sah ich mich außer Stande, ihre Wünsche mit dem in Einklang zu bringen, was ich noch ertragen konnte. »Wenn wir essen gingen, müssten wir uns dann über Gefühle und Männer und Sex unterhalten?«
    »Ich glaube, es täte dir gut, dich zu desensibilisieren, damit dir diese Themen nicht mehr fremd und unangenehm sind. Damit ich dich bald einmal fragen kann: ›Was gibt’s Neues?‹, und du automatisch weißt, wie diese Frage gemeint ist.«
    »Du möchtest, dass ich mehr auf andere eingehe, netter bin, aber wenn du mir zugehört hättest, wäre dir klar geworden, dass ich nicht der Typ dafür bin. Meine berufliche Zukunft steht auf dem Spiel. Ich bin Wissenschaftlerin, was mich interessiert, sind die wirklich wichtigen Dinge im Leben, nicht welcher Angehöriger des anderen Geschlechts mein Gesichtsfeld gekreuzt oder in meinem Bett geschlafen hat.«
    »Da hast du wahrscheinlich Recht«, sagte sie leise. »Wir könnten ja auch über Leben und Tod, Krieg und Frieden reden.« Gespannt beobachtete ich, wie sie ihre Gesichtszüge in die gewohnten Gleise brachte und damit signalisierte, dass die Verkündigung einer neuen Lebensweisheit unmittelbar bevorstand. »Alice«, fing sie an, »wenn man sich mit jemandem unterhält, kann man nicht einfach reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Es sei denn, dieser Jemand fordert einen ausdrücklich dazu auf. Man muss diplomatisch sein. Wenn deine Mutter dich besucht und es dir reicht, dann könntest du zum Beispiel sagen, dass du dich irgendwie angeschlagen fühlst. Oder, dass du schon etwas anderes ausgemacht hast - obwohl du nichts lieber tätest, als mit ihr essen zu gehen - und ob man das Essen nicht verschieben könnte.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Ich sage ja auch nicht, dass du lügen sollst. Ich rede von Notlügen . Die gebraucht man, wenn man die Gefühle anderer nicht verletzen will.«
    Ich sagte, ich wisse, worauf sie hinauswolle: Was du nicht willst, das man dir tu, etc. Aber ich hätte keinerlei Praxis im Zensieren der unverblümten Botschaften, die mein Gehirn an meinen Mund sandte.
    »Gibt es außer mir jemanden, mit dem du üben kannst? Denn ich werde mich durch diesen ›Gedankenaustausch‹ nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Du sollst deinen Freiraum haben. Aber ich werde mir deswegen nicht meinen Boston-Urlaub vermiesen lassen. Ich werde mir ein Hotelzimmer suchen, da übernachten und morgen den Freedom Trail entlangbummeln. Ich werde auch vergessen, dass du mich abwimmeln wolltest wie jemanden, der dir am Telefon was andrehen will.«
    »Da musst du dir keine Sorgen machen. Ich übe mich jeden Tag an meinen Patienten in Diplomatie. Ein Arzt kann nicht einfach in die Klinik spazieren und sagen: ›Schaut schlecht aus. Könnte gar nicht schlimmer sein. Haben Sie alles geregelt?‹ Einmal habe ich das gemacht, da verlangte die Familie, dass man mir den Fall entzieht.«
    »Beruhigend zu wissen. Das zeigt wenigstens, dass du einen Feedback-Mechanismus besitzt. Aber worum ich mir Sorgen mache, ist das hier« - sie fegte mit ausgestrecktem Arm durchs Zimmer -, »dass du allein lebst. Dass du nicht einmal einen Mitbewohner hast, an dem du deine sozialen Fähigkeiten erproben kannst.«
    Ich sagte, ich sei mittendrin, meine Fähigkeiten zu verfeinern. Leo, der berühmt war für seine Anteilnahme, hatte ein solides Fundament geschaffen.
    » War? «, wiederholte sie. »Warum war? Könnt ihr nicht Freunde bleiben?«
    »Aber natürlich. Leo und ich haben vor, uns weiterhin in der Mittagspause in der Kantine zu treffen, und er wird mir bei der Läuterung meines Charakters helfen.«
    Ich fand mich verlogen und gekünstelt, weil ich sie in dem Glauben ließ, Leo und ich würden unsere Freundschaft weiter pflegen, oder Jungärzte hätten Zeit für eine Mittagspause, aber war das nicht Sinn und Zweck einer Notlüge? Den Zuhörer auf Kosten der Wahrheit zu beruhigen?
     
    Ich kam mir ein wenig seltsam vor, als ich die Kantine nur in Jeans und Pullover betrat, ohne weißen Mantel und

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