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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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daherkämen, auch wenn Sie noch eine Entbindung und noch eine durchzustehen haben und die ganze Nacht kein Auge zu kriegen.«
    »Manchmal komme ich sehr wohl auf dem Zahnfleisch daher. Aber ich behalt’s für mich. Hab schon zu viele Ärzte gesehen, die wie wild um sich beißen. Ein sehr unvorteilhaftes Betragen. Wenn man sich nicht beherrschen kann und unter Druck explodiert, sollte man sich nach einer anderen Arbeit umsehen.«
    Ich wünschte, seine Pause ginge nie zu Ende. Vielleicht sollte ich auf Geburtshilfe umsatteln, so dass ich mich an Dr. Henry Shaws Rockzipfel klammern und zusehen konnte, wie meine Kümmernisse sich unter den Tränen verzückter und dankbarer Patientinnen auflösten. Ich fragte ihn, wie oft er Kaiserschnitte vornehmen müsse, und ob er gerne operiere.
    »Ja, eigentlich operiere ich gerne. Nicht bei Notfällen, wenn’s ein Wettlauf mit der Zeit ist. Aber in der großen Mehrzahl der Fälle steht ein Topf voll Gold am Ende meines chirurgischen Regenbogens.«
    Ich muss recht unbedarft dreingesehen haben, denn er fügte hinzu: »Das Baby.«
    »Verzeihung. Ich hatte gerade eine Vision von mir mit dem Wundhaken in der Hand, während Sie den Bauch bis zum Uterus durchschneiden, und ich bleibe wach, weil ein Baby spannender ist als eine Gallenblase.«
    »Der Ärger, den Sie hatten, passierte während einer Gallenblasenoperation?«
    »Der Haken knallte dem Operateur auf die Hand -«
    »St. Louis, Missouri, Barnes-Klinik, 1964, erster Monat meines ersten Jahres. Ich bin während einer Hysterektomie eingeschlafen und peng! Haken trifft Skalpell.«
    »Und was ist passiert?«
    »Nichts, glücklicherweise. Keine Venen oder Nerven wurden verletzt - nur mein Stolz.«
    »Hat der Operateur Ihnen eine Riesenszene gemacht?«
    »Kann mich an keine erinnern. Er fragte mich nur ganz ruhig, ob ich vielleicht an jemand anderen abgeben wolle. Ich schlich davon und ließ mich voll laufen, was meinem Erinnerungsvermögen nicht besonders dienlich war.«
    Im Flüsterton erzählte ich ihm, dass Hastings das Skalpell nach mir geworfen hatte. »Ich glaube nicht, dass er wirklich auf meinen Kopf zielte, aber als es losflog, wusste ich das natürlich nicht. Er hätte mir ein Auge ausstechen können oder die äußere Jugularvene aufschlitzen.«
    »Primadonna-Gehabe«, brummte Dr. Shaw. »Ego auf dem Laufsteg.«
    »Ich behaupte ja nicht, dass das kein kapitaler Bock war, den ich da abgeschossen habe, aber es geschah nicht aus Unkenntnis oder Unfähigkeit. Ich bin eingeschlafen, ich hätte es nicht verhindern können.«
    »Die Arbeitszeiten sind zum Verrücktwerden. Aber auf mich hört ja niemand. Der Chirurgenverband würde seinen Initiationsritualen nur ungern abschwören.«
    Das gefiel mir sehr - »Initiationsrituale«. Diese spezielle Charakterisierung war Leo nicht eingefallen, als er mich für mein Schlussplädoyer präparierte.
    Dr. Shaw sah auf die Uhr. »So gern ich mir einen dieser Schokokuchen einverleibt und unsere Unterhaltung fortgesetzt hätte, ich muss nach meinen Müttern sehen.«
    »Hoffentlich geht heute Nacht alles gut.«
    Er berührte mich am Handgelenk. »Wie war Ihr Name noch mal?«
    »Alice Thrift.«
    »Viel Glück für Sie, Dr. Thrift. Lassen Sie sich von solchen Armleuchtern nicht unterkriegen.« Er ergriff sein oranges Tablett, entfernte sich ein paar Schritte und kehrte zurück. »Wenn Sie erlauben, noch ein unverlangter Ratschlag: Die Nacht ist noch jung, gehen Sie nicht gleich zu Bett. Die Versuchung ist groß - glauben Sie mir, ich kann mich noch gut erinnern -, aber schlafen können Sie, wenn Sie so alt sind wie ich. Kramen Sie Ihren Wintermantel heraus. Schnappen Sie ein bisschen frische Luft, jenseits dieses Tunnels und dieses Krankenhauses.«
    »Sie meinen, ein bisschen Bewegung täte mir gut?«
    »Das auch. Aber ich meinte eher, mischen Sie sich unter andere junge Leute, insbesondere solche, die nicht hier arbeiten. Unterhalten Sie sich darüber, was in der weiten Welt passiert, und denken Sie nicht über die hier drinnen nach.«
    Wollte mich ein gesetzter, väterlicher Mann wie er zu einem Bar- oder Nachtclub- oder Stadionbesuch animieren? Ich bat ihn um Vorschläge.
    »Rufen Sie eine Freundin an. Oder springen Sie in die U-Bahn. Fahren Sie rüber zum Harvard Square. Gehen Sie da ein bisschen spazieren. Folgen Sie der Musik in eines der Cafés - gibt es überhaupt noch Cafés? Oder schauen Sie in den Veranstaltungsteil des Globe . Es gibt immer irgendeinen Vortrag, zu dem Sie noch

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