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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elinor Lipman
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Witz war, Alice!«
    Ich sagte, ganz und gar nicht. Wann machte ich je Witze? Und warum verblüffte sie denn die Vorstellung so, dass ich mich sexuell betätigen könnte?
    Sie atmete ein und aus, als müsse sie sich in großer Nachsicht üben. »Die Sache mit dem Sex ist mir völlig egal, das kannst du mir glauben. Ganz im Gegenteil. Da nehme ich es mit den liberalsten Eltern in ganz Amerika auf. Was mir aufstößt ist das ›Zuerst teilen wir den Tisch und dann das Bett miteinander.‹ Das klingt so leidenschaftslos. So … autistisch.«
    Ich sagte, es wäre mir lieb, wenn sie aufhören würde, mit medizinischen Fachausdrücken um sich zu werfen. Und was Leidenschaft anging - war sie nicht diejenige, die sich gerade mit ihrer unbändigen Abneigung gegen meinen Vater gebrüstet hatte - präkoital?
    »Dein Vater war Student im zweiten Jahr in Wharton! Dein auserwählter Geschlechtspartner verkauft Schokolade aus dem Kofferraum seines Wagens. Ich komm da nicht mit. Ist das Bequemlichkeit? Oder Verzweiflung? Oder - und das wird dir jetzt gar nicht gefallen - Mitleid?«
    Ich kletterte über sie hinweg und ging wieder zum Kleiderschrank. Eine Weile schob ich geräuschvoll Kleiderbügel hin und her, dann brach es aus mir heraus: »Du bildest dir was auf deine Liberalität ein, aber dass Julie mit einer Frau zusammenlebt, akzeptierst du nicht, und auch nicht, dass ich mich mit jemandem treffe, der die Wände seines Büros nicht mit gerahmten Diplomen voll gehängt hat.«
    » Hat er überhaupt ein Büro?«
    »Wahrscheinlich.«
    »War er auf der Uni?«
    »Das Thema hatten wir noch nicht.«
    Wieder breitete sich Schweigen aus. Dann fragte sie: »Fühlst du dich irgendwie zu diesem Ray hingezogen?«
    Die einzig akzeptable Antwort war ›ja‹, also sagte ich: Ja, ich fühlte mich zu ihm hingezogen. Mitleid habe nicht das Mindeste damit zu tun, zumindest nicht von meiner Seite. Er sei sehr aufmerksam und galant gewesen. Er habe keinerlei Druck auf mich ausgeübt. Gut, am Ende der Reise nach New Jersey habe er vielleicht um einen Gutenachtkuss gebeten, aber das sei ja wohl nicht der Rede wert, wenn man bedenke, dass für die meisten Leute ein Kuss so selbstverständlich war wie für mich die Bestellung einer Pizza. Doch ich hätte nachgedacht, Ray sei ein normaler Mann mit normalen Neigungen. Jetzt war es an der Zeit, ihm zu signalisieren, dass ich eine erwachsene Frau sei, und vor mir läge eben die Hürde, die erwachsene Menschen zu überwinden hätten.
    Sie kam herüber zum Kleiderschrank und schloss mich in die Arme. »Das hat Nana und mich jahrelang beschäftigt. ›Hat sie oder hat sie nicht? Wird sie oder wird sie nicht?‹ Sie war überzeugt, dass du auf irgendeinem Unifest oder in deinem Auslandsjahr deine Jungfräulichkeit verloren hast. Ich nicht. Ich habe ihr immer gesagt, dass ich es merken würde, wenn es passiert wäre. Und jetzt kündigst du es mir sozusagen an. Einerseits deprimiert mich die Wahl deines Partners. Andererseits freue ich mich unbändig, dass du dich mir jetzt anvertraut hast.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, Nana hatte Recht. Das erste Mal habe ich bereits hinter mir. Es passierte auf der Uni, im Sommerlager, um genau zu sein.«
    »Mit einem Mann?«
    Ich sagte ja, mit einem der Betreuer in Tattaho.
    »Freiwillig?«
    »Natürlich freiwillig. Er kam mit einem Kanu herübergepaddelt, und wir saßen eine Weile auf dem Steg, erörterten unsere sexuellen Optionen, suchten uns dann einen Platz hinter der Krankenstation, und da haben wir’s dann getan.«
    »Und dann?«
    »Wir entsorgten das gebrauchte Kondom im Müllschlucker des Speisesaals, und ich bin wieder ins Bett gegangen.«
    »Ich meinte, ob du dich verliebt hast? Warst du mit dem Herzen dabei? War es das, was du dir erhofft hattest? Seid ihr nach dem Lager in Kontakt geblieben?«
    Ich sagte nein, nichts von alledem. Es hatte mir keinen Spaß gemacht, und deshalb hatte ich keinen Grund gesehen, diese Übung zu wiederholen.
    »Bis heute?«
    Da unterbrach ich meine Tätigkeit - ich stopfte gerade einen Berg Schmutzwäsche in meinen überquellenden Wäschesack - und philosophierte laut vor mich hin: »Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, dass die Menschen in allen Ländern, wie weit sie auch entfernt sein mögen, in allen Kulturen, allen Religionen und in allen Klimazonen kopulieren? Schon seit undenklichen Zeiten suchen Männer und Frauen - ohne Kurse, Handbücher, anatomische Zeichnungen oder Duftkerzen - sich Sexualpartner. Ich finde das

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