Der dreizehnte Apostel
küssen und verehren, ihn ablecken, dann ihn nehmen und sich selbst damit auf den Kopf schlagen, ehe der Täufer von ihm abließ und willens war, ihn zu taufen. Ich hatte Glück, denn als ich mich bei ihm einfand, hatte er soeben einen Advokaten gedemütigt, und so kam ich ziemlich glimpflich davon.
Doch trotz seines übersteigerten Gebarens habe ich den Täufer immer für aufrichtig gehalten und bin sogar geneigt, ihn als einen Mann Gottes anzusehen.
7.
Unter seinen Anhängern war der Jünger Johannes.6 Als ich diesem zuerst begegnete, war er ein mädchenhafter Jüngling von siebzehn Jahren, ehemaliger Musterschüler im Tempel. Frech beschimpfte er mich meines Landbesitzes wegen und verlangte, daß ich auf meine weltlichen Güter verzichte – ich sei ein Wucherer, ein Schwein. (Wie man sieht, imitierte er den Stil des Täufers perfekt. Und das, mein Bruder, ist meines Erachtens alles, was dem Johannes, Sohn des Zebedäus, der Neid lassen muss : daß er’s immer verstanden hat, seinem Rabbi nach dem Munde zu reden.) Als er dem Meister zu dienen begann, wurde er gleich ein kleines Lämmchen und flüsterte in des Lehrers eigener Sprache alle Versicherungen der Liebe und des künftigen Paradieses nach; und für diese Mühewaltung wurde er der Jünger, den der Meister lieb hatte, und es entging ihm keines seiner Worte.7
8.
Johannes’ Kloster war, was mich nicht überraschte, in einer guten Wohngegend am Stadtrand gelegen. Hier führten junge Männer, von welchen viele sich selbst entmannt hatten, größtenteils Griechen, ein asketisches Leben, nachdem sie ihr Erbteil, und was sie sonst an weltlichen Gütern besaßen, abgeliefert hatten. Johannes hatte diese Gelder in Grundbesitz im Hafenviertel angelegt, der dem Orden ein ständiges Einkommen sicherte. In dem geräumigen Landhaus verbrachten die von Johannes Bekehrten den größten Teil des Tages mit Fasten und Beten und kultivierten diese essenische Heiligmäßigkeit, die der Meister immer missbilligt hat (angesichts der Werke tätiger Nächstenliebe, die dabei ungetan blieben).
9.
Johannes war auf bemerkenswerte Weise unverändert. Er war noch immer bartlos wie als Jüngling, ich halte es allerdings für möglich, daß er sich das Barthaar ausgezupft oder dessen Wachstum sonstwie verhindert hatte, denn ihm war, wie er mir selbst gestand, viel daran gelegen, die
Erscheinung des Jüngers zu bewahren, den der Erlöser lieb hatte. Wirklich sah er von weitem noch immer nicht älter aus als einundzwanzig, aus der Nähe freilich war ihm anzusehen, daß er doch schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hatte. Mir schien auch, daß er sich die Haare schwarz nachfärbte, aber ganz sicher bin ich mir dessen nicht, da ja bekanntlich, wer sich selbst zum Verschnittenen macht, für den Herrn (oder aus sonst einem Grund) länger jung bleibt, alldieweil er seinen Leib der zersetzenden männlichen Säfte beraubt hat, die uns andere altern und grau werden lassen.
Johannes hatte sich, wie zu erwarten stand, mit jungen Leuten seines Schlages umgeben, die von theologischen Diskussionen und rabbinischer Haarspalterei nie genug kriegen konnten. Ich lernte seinen Schreiber Zossima kennen, der ihn anhimmelte wie weiland Pentheus den Apollonius.8 Wie die Essener, die wir als Kinder kannten, wirkten diese jungen Männer, als hätten sie sich durch zu ausgiebiges Fasten in jenen seltsamen Geisteszustand versetzt, in dem einem das Allerbanalste wie ein Wunder vorkommen kann und man mühelos die Knittelverse des Johannes als Gottes Wort akzeptiert.
10.
Im Atrium sah ich einen Jungen, keine vierzehn Jahre alt, der weinend das zwischen den Pflastersteinen sprießende Unkraut auszupfte und verzehrte.
»Das ist Andreas«, erklärte mir Johannes, »und er weint um die Schönheit dieser Kräuter und hält sie so wert wie den Ertrag des Gartens eines reichen Mannes, die Ernte eines reich gesegneten Herbstes. Zum Ruhme Gottes!« Ich kann mich vieler Gelegenheiten erinnern, bei denen der Meister vom Fasten abriet und uns empfahl, mäßig, aber regelmäßig zu essen, sogar Wein zu trinken und uns unserer Nahrung zu freuen.9 »Wenn der Herr aß und trank«, sagte Johannes leise zu mir, »war das nur Schein, mein Bruder, denn Sein Göttlicher Leib bedurfte des Unrats nicht, den wir in dieser Welt Nahrung nennen. Jede Nacht wurde Er von Engeln gespeist.«10 Tränen standen ihm funkelnd in den Augen. »Die Cherubim speisten Ihn mit himmlischen Süßigkeiten auf Lichtstrahlen, die
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