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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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schreiben.
    (Er wird dir nicht antworten.)
    Und eigentlich habe ich auch mein Spiel mit ihm
    getrieben.
    (Nichts, worauf man stolz sein müsste , Mein Kind.)
    Lucy blieb an der Reling stehen; der Wind wehte ihr das Kleid zwischen die Beine und brachte ihr Haar, das sie im Nacken kitzelte, in neue Form. Wieder unterwegs zu sein, auf dem Meer, und vor ihr Jerusalem! Aber das Heilige Land trat bald hinter albernen Gedanken über die Disco an Bord zurück, wo es genügend attraktive Männer gab, mit denen man tanzen konnte … Und wer weiß, lächelte Lucy, ich habe eine Einzelkabine.
    (Ja, heute Abend wirst du tanzen und in einem Nebel von Flirts, von Freiheiten, die sich gutaussehende, zypriotische Soldaten genommen haben – ein Kuss hier, eine Umarmung da –, und von ein paar Metaxas zuviel ins Bett gehen. Und es wird die erste Nacht auf See sein, in der du nicht daran denkst, zu Uns zu beten und zu bitten, daß das Schiff nicht sinken möge; und es ist gut, daß du dich immer weniger vor deiner Welt fürchtest. Aber wirst du Uns ganz vergessen, Meine Liebe? Wir haben im Laufe der Jahrhunderte soviel gute Gesellschaft verloren.)
    Oh, seufzte Lucy und spürte die Süße des schwindenden Tages in der Seele, ich muss es mir zum Prinzip machen, niemals zu sterben. Und weiterhin zu reisen und neue Menschen kennenzulernen; und ich muss mich oft verlieben, so daß ich immer dieses übervolle, verzückte Herz habe. Ich mag diese Welt, dachte sie und presste die Arme an ihre Brust, als es kühler wurde über der Ägäis. Sie blickte auf zum Abendstern und hatte weniger als sonst das Bedürfnis nach Göttern, als sie so in den geheimnisvollen, geheiligten Osten fuhr.
     
    VIER
     
    1.
    O Ephesos, Mutter der Architektur, der Mathematik und anderer Wissenschaften, du Inbegriff der feinen griechischen Art, warum ergibst du dich so haltlos der Neigung der menschlichen Natur zur zügellosen Fleischlichkeit? Ach, überall in Asien [Kleinasien] findet man ja jede einstmals edle und gute Idee heutzutage in leidenschaftlicher Hingabe einer Bosheit vermählt – ach, und so vieler Bosheit, daß die Kraft von zehn Propheten erforderlich wäre, mit der Erörterung all der Sünden auch nur zu beginnen. Gelobt sei der Herr, der mich dieser Aufgabe gewachsen machte!
     
    2.
    Während meiner Reisen durch die Agäis in meiner Jugend hatte ich überall die Riten der Artemis, der Göttin der Jagd, gefeiert gesehen, die unseren früheren Tempelop fern im Grunde ähnlich waren, jedenfalls bei unvoreingenommener Betrachtung: Blutopfer, der Gottheit dargebracht, als Zeichen unserer Dankbarkeit für die sich in jedem Frühjahr von neuem offenbarende Freigebigkeit der Erde. Aber ach, hier in Ephesos dienen die Göttin und ihr berühmter Tempel nur der Unzucht und der Hurerei. Selbst das Bild der Göttin ist eine mit Hunderten von Brüsten behängte Ungeheuerlichkeit! (Und kleine tönerne
    Nachbildungen dieser Ungeheuerlichkeit werden überall in den Straßen zum Kauf angeboten, wo sie selbst den Kindern nicht verborgen bleibt und auch heiligmäßige Personen sich ihrem Anblick nicht entziehen können!)
     
    3.
     
    Attis, Astarte, Kybele, all die heidnischen Gottheiten, die von der Lust an blutrünstigem Narrenpossen und Schweinigelei zehren, deren jede mit Blutvergießen und Kastration anfängt und in allgemeiner Lüsternheit und viehischen Ausschweifungen der Kultgemeinde endet. Daher werden in Asien und Phrygien Jungfrauen einem Tempeldienst geweiht, in welchem sie sich allen unzüchtigen Begierden und allen Lustseuchen prostituieren müssen, die rund um unser Mittelmeer vorkommen. Und dabei sind diese Götterfeste noch heilig und rein, verglichen mit dem alltäglichen Treiben in diesem Ephesos, das alle anderen Städte – Tyrus, jenen untersten der tiefsten Schlünde der Hölle allein ausgenommen – an Verdorbenheit und Schändlichkeit der Vergnügungen übertrifft.
    Überall sind Wegweiser zu den unterschiedlichsten Vergnügungsstätten angebracht, man findet deren sogar aus den Steinen des Straßenpflasters ausgehauen, wo einer den nächsten Weg zu einem Etablissement weist, das unter der Frage Gras vives? firmiert und den Vorübergehenden angesichts der Unbeantwortbarkeit dieser Frage animiert, sich unverweilt an der angegebenen Adresse damit zu amüsieren, die knusprigsten Knaben von Asien zu sodomisieren; während ein anderer ein Lokal empfiehlt, das seine Kundschaft mit der Frage Quo irrumbis? empfängt.1 Es kostet mehr, in Judäa ein

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