Der dreizehnte Apostel
maßgeschneidert. Seine Augen hinter den runden, dicken Brillengläsern sahen riesig aus. »Ich hatte den Eindruck, daß Sie direkt nach Hause fliegen wollten«, sagte er mit seinem platten Mittel-westen-Akzent und streckte ihnen die fleischige Hand hin. »Sie haben unserem Außenministerium wirklich schlaflose Nächte bereitet, Miss Dantan.«. Lucy bemerkte, daß der Ring an seiner Rechten kein Ehering, sondern der Ring irgendeiner Bruderschaft war.
»Ich bin Religionswissenschaftler«, erwiderte der Professor ausdruckslos. »Warum sollte ich nicht Israel besuchen, bevor ich zurückreise nach Chicago?«
Lucy betrachtete Underwoods Kopf mit dem schütteren Haar, das er mit Gel so eingeschmiert hatte, daß es eine spitze Form bildete. »He, ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt hier. Und, hehe, wenn Sie uns von der Botschaft brauchen, dann zögern Sie nicht, uns anzurufen.« O’Hanrahan blieb verstockt.
»Hu, ich habe eine Verabredung, ich muss mich beeilen«, sagte Underwood und trat den Rückzug an. »Vielleicht können wir abends einmal zusammen essen, wie?« Er nahm seine Aktentasche, verabschiedete sich mit einem ziemlich müden militärischen Salut und trottete davon. »Das war eine seltsame Begegnung«, meinte Lucy.
»Ja. Was macht ein unbedeutender Beamter vom Konsulat in Thessaloniki plötzlich hier in Jerusalem?« O’Hanrahan wandte sich an die Dame an der Rezeption. »Entschuldigen Sie, mein Liebe. Hat dieser Mann, der kleine Mann dort, gerade ein Zimmer genommen?«
»Nein, Sir.«
»Hat er vielleicht eine Nachricht für mich hinterlegt?« Nein, hatte er auch nicht.
O’Hanrahan blinzelte und überlegte. »Okay, wenn es kein Zufall ist und er uns folgt, dann wissen wir zwei Dinge. Erstens, er ist ein sehr ungeschickter Spi on, ein Trottel.«
»Diesen Eindruck hatte ich schon in Athen.«
»Und zweitens, er wusste , daß wir hier in Jerusalem und in diesem Hotel sind. Haben Sie in Athen gesagt, daß wir nach Jerusalem fahren würden?«
»Nein. Sie haben mich angewiesen, Mr. Underwood und Colonel Westin nichts zu sagen, und daran habe ich mich gehalten.«
»Wer weiß dann, daß wir hier sind?«
Lucy seufzte. »Rabbi Hersch weiß es. Ich habe meine Mom angerufen. Offensichtlich weiß Gabriel, daß wir hier sind … durch Pater Vico. Haben Sie Mr. Underwoods Ring bemerkt?« O’Hanrahan war er nicht aufgefallen.
»Ich könnte schwören, daß ich diese Art von Design, dieses Zeichen schon einmal gesehen habe.«
»Nun, Sie legen sich jetzt ein wenig hin, Schwester Lucy. Und ich werde mich weiter mit dem Meroïtischen herumplagen und sehen, was dabei herauskommt.«
Lucy nahm ihren Schlüssel und ging zum Aufzug. Ihr Arm schmerzte nun bei jedem Schritt. O verdammt, brummte sie, und es wird auch nicht viel helfen, wenn ich mich hinlege. Langsam ging sie zurück. Sie brauchte Schlaftabletten. Sie musste ihr Bewusstsein für die nächsten vierundzwanzig Stunden, bis
dieses Elend vorbei war, ausschalten …
»Lucy!«
Es war Gabriel. Er lief auf sie zu und wollte sie umarmen.
»Rühr mich nicht an!« schrie sie, so daß ein paar Fremde die Köpfe drehten und meinten, sie könnten einen Liebeskrach mitansehen. Lucy erklärte, daß
man sie geimpft hatte, und Gabriel lachte. »Was machst du immer noch hier? Bist du nicht längst in Chicago?«
»Die Jagd geht weiter«, meinte Lucy.
»Nach Jerusalem zu kommen war eine Art Belohnung für mich«, erzählte Gabriel, der sonnengebräunter war, als Lucy ihn je gesehen hatte. »Pater Vico sagte, ich könnte ihn begleiten. Natürlich hat er keine Ahnung, daß ich aus dem Franziskanerorden austreten werde.«
Lucy war nach ihren Spritzen leicht aufbrausend. »In der einen Woche bist du drin, in der nächsten wieder draußen aus dem Orden. Hast du das nicht selber langsam satt?« fauchte sie ihn an.
Gabriels Augen wurden noch größer. »Ich versuche, mich zu entscheiden. Ich mache ziemlich viel durch im Moment.«
Lucy versuchte, ihren Ton zu entschärfen. »Nach Lateinamerika zu gehen und die Dritte Welt zu ernähren ist also für eine Weile wieder out?«
»Oh, na gut, das war nicht sehr ernst, die Welt zu ernähren und das ganze Zeug. Ich glaube einfach, es ist wichtiger, daß ich mit dem Studium weitermache.«
Er begann zu erörtern, welche akademischen Grade er machen könnte, welche Studienprogramme er in Erwägung zog, und Lucy stellte fest, daß sie sich nach dem Komfort ihres Hotelzimmers sehnte. Daher lud sie Gabriel nach oben in ihr Zimmer ein
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