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Der dreizehnte Apostel

Der dreizehnte Apostel

Titel: Der dreizehnte Apostel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilton Barnhardt
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der Felsspalte, die sich angeblich bei Jesu Tod am Kreuz auftat, als sein Blut auf Adams Grab tropfte – und Adam endlich von seinem Sündenfall reinwusch. Über eine dreizehnstufige Treppe ging Lucy hinab zur Kreuzauffindungskapelle -Konstantins Mutter Helena war überzeugt, genau an dieser Stelle 300 Jahre nach der Kreuzigung Christi das echte Kreuz gefunden zu haben. Lucy lächelte. Ausgehend vom lateinischen Verb invenire könnte man auch die Kreuzerfindungskapelle sagen – eine zynische Bedeutung, die die Namensgeber sicher nicht beabsichtigt hatten. Die Kapelle der Kleider Verteilung . Die Kapelle der Verspottung Christi. Die Kapelle von Maria Magdalena, an jenem Ort, wo sie dem auferstandenen Christus zuerst begegnete. Die Kapelle der Armenier, in der man von einem netten Mönch Weihrauch und Myrrhe kaufen konnte – was Lucy auch tat – und einen Mosaikboden mit armenischen Buchstaben und den Thron des armenischen Patriarchen sehen konnte, der den Sesseln im Wohnzimmer ihrer Eltern frappierend ähnlich sah … Es ist auch nur ein Sessel, entdeckte Lucy, als sie näher hinsah. Wolken ließen den Himmel über der Heiligen Stadt früh dunkel werden, und die Moschee auf der anderen Seite des Hofes rief zum Gebet, als Lucy aus dem riesigen Gebäudekomplex wieder an die frische Luft kam, die weder nach Weihrauch roch noch von Gesängen widerhallte – nur die Vögel machten noch Lärm. Die unvermeidlichen Scharen von Pilgern, die stundenlang Schlange standen, um allein am Heiligen Grab zu beten oder am Kalvarienberg, wo eine Silber Plakette den Kreuzigungsort anzeigte, ein Foto schießen zu dürfen, hatten sich auf rätselhafte Weise aufgelöst. Nur noch etwa zwanzig Leute befanden sich im Vorhof. Lucy blieb stehen, um sich die verschiedenen Christen aus Ost und West zu betrachten. Und aus Amerika.
    Ein Trupp von amerikanischen Baptisten kam daher – sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift Das Gelobte Land und Jerusalem Laß-ein-Wundergeschehen-Mission 1990, als würde ihr Spruchband Gott dazu bringen, speziell zu dieser Gelegenheit aktiv zu werden. Die Amerikaner hatten die Dienste von Via Dolorosa Inc. in Anspruch genommen, einer Firma von friedlichen Arabern, die Pilgergruppen mit übergroßen Kreuzen versorgte, die sie den Kreuzweg entlangtragen konnten. Lucy lehnte sich gegen die staubigen Kalkmauern, während diese mit ihrer Frömmigkeit protzende Gruppe feierlich vorbeizog. Jesus trug allerdings keine kaum zehn Pfund schwere Attrappe aus Spanplatten, dachte Lucy – warum nehmen sie nicht ein echtes Kreuz, um zu sehen, welche Last der Mann zu tragen hatte? Die Amerikaner blieben vor dem Kirchenportal stehen; ein älterer Mann posierte mit dem Kreuz für die Videokamera. »Mama«, fragte eine müde wirkende Frau mittleren Alters mit Südstaatenakzent, »warst du schon dran mit dem Kreuz?« Jeder habe die Möglichkeit, sich mit dem Kreuz verewigen zu lassen, bevor man in die Grabeskirche gehe, verkündete der ältere Mann. Wir haben Ikonen verworfen, dachte Lucy, um selbstgedrehte Videos im Videorecorder anzusehen, unserem modernen Altar. Das Kreuz wurde nun weitergegeben an eine Barbiepuppe aus den Südstaaten, herausgeputzt mit grellbunten Rüschen und Schleifchen, die in Tränen zerfloss und das Kreuz an jemanden weiterreichen musste , der weniger gefühlvoll war. Als nächster kam ein junger Mann …
    »Farley«, fuhr Lucy zusammen, als sie den Jungen erkannte. Sie beschloss , ihn heimlich zu beobachten, und huschte in den Schatten der äthiopischen Kapelle am Rand des Hofs. Farley trug das Kreuz mit großem Ernst, wandte sich dann dem Mann mit der Videokamera zu und sprach ein paar Worte ins Mikrofon, wohl um seine Eindrücke für die Leute zu Hause in der Sonntagsschule festzuhalten, stellte Lucy sich vor. Sie musterte die Baptistenclique, um zu sehen, ob Mr. Billiganzug dabei war, der ihrer und O’Hanrahans Meinung nach mit Farley zusammengehörte. Plötzlich schien es ihr sehr wahrscheinlich, daß Farley eine Rolle spielte in einem umfassenden Plan, der den Diebstahl des Matthiasevangeliums zum Ziel hatte.
    4./5. August 1990
    Lucy verließ die Klinik der Hebräischen Universität mit dem Gefühl, daß ihr Unangenehmes bevorstehe. Man hatte ihr Impfstoffe gegen Gelbfieber, Cholera und Typhus in den linken Arm gejagt, eine Spritze Gammaglobulin hatte sie in den Hintern bekommen, und zwei gewaltige Packungen mit Tabletten gegen Malaria hatte man ihr mitgegeben. Sie verfluchte

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